Lautstärke beweist gar nichts - respektlose Wahrheiten
gleich; es ändert sich nie. Die Verhältnisse ändern sich von Zeit zu Zeit, zum Guten oder zum Schlechten hin, doch der Charakter der Menschheit ist beständig und ändert sich nie. Im Lauf der Zeitalter hat sie mehrere mächtige und bewundernswerte Zivilisationen aufgebaut und es dann erleben müssen, dass sich unvorhergesehene Umstände einschlichen und tödliche Gaben mitbrachten, die wie Vorteile aussahen und freudige Aufnahme fanden, woraufhin sich der Verfall und der Untergang jeder dieser stolzen Zivilisationen einstellte.
Es wäre vergebliche Mühe, verhüten zu wollen, dass die Geschichte sich wiederholt, denn der menschliche Charakter wird es stets unmöglich machen, die Wiederholungen zu verhindern. Wann immer der Mensch hinsichtlich desmateriellen Wohlstandes und des allgemeinen Fortschrittes ein großes Stück vorankommt, denkt er unweigerlich, er sei fortgeschritten, dabei ist er selbst keinen Zoll weiter, sind ausschließlich seine Verhältnisse fortgeschritten. Er steht genau da, wo er vorher stand. Er weiß mehr, als seine Vorfahren wussten, aber sein Verstand ist nicht leistungsfähiger als der ihre und wird es niemals sein. Er ist reicher als seine Vorfahren, aber sein Charakter hat sich gegenüber dem ihren keineswegs verbessert. Reichtümer und Bildung sind kein dauerhafter Besitz; sie gehen verloren wie im Falle Roms und Griechenlands und Ägyptens und Babylons, und es folgt eine sittliche und geistige Mitternacht – mit einem langen, dumpfen Schlaf und einem sehr allmählichen Wiedererwachen. Von Zeit zu Zeit macht der Mensch etwas durch, das wie ein Charakterwandel aussieht, doch es ist kein echter Wandel und ist ohnehin nur flüchtig. Er vermag nicht einmal eine Religion zu erfinden, die er unversehrt bewahren könnte; die Verhältnisse sind mächtiger als er und alle seine Werke. Die Verhältnisse und Umstände wandeln sich ständig und zwingen ihn immerzu, seine Religionen abzuändern, um sich der neuen Situation anzupassen.
Fünfundzwanzig oder dreißig Jahre lang habe ich eine Menge Zeit – vielleicht allzu viel Zeit – an den Versuch verschwendet, mir im Voraus die Vorgänge auszumalen, die unsere Republik in eine Monarchie umwandeln werden, und zu erraten, wie lange es noch bis zu diesem Ereignis dauern mag. Jeder Mensch ist Herr und Knecht, Untertanzugleich. Immer gibt es jemanden, der zu ihm aufblickt und ihn bewundert und beneidet; immer gibt es jemanden, zu dem er aufblickt und den er bewundert und beneidet. Das ist seine Natur, das ist sein Charakter, und dieser ist unveränderlich, unzerstörbar; deshalb sind Republiken und Demokratien nichts für ihn; sie vermögen die Bedürfnisse seiner Natur nicht zu befriedigen. Die Impulse, die von seinem Charakter ausgehen, werden stets Verhältnisse und Umstände hervorbringen, die ihm im Lauf der Zeit einen König und eine Aristokratie bescheren müssen, zu denen er aufblicken und die er verehren kann. In einer Demokratie wird er sich aufrichtig bemühen, die Krone aus dem Spiel zu lassen, aber die Verhältnisse sind mächtige Herren und werden ihn schließlich überwältigen.
Manche Republiken hatten ein langes Leben, aber die Monarchie lebt ewig. In der Schule lernen wir, dass im Gefolge sehr großen materiellen Wohlstandes stets Zustände auftreten, die das sittliche Gefüge einer Nation angreifen und ihre Lebenskraft schwächen – dann werden die Freiheiten dieses Landes zur Handelsware, die man kauft, verkauft, verschleudert, wegwirft, und das anbetende Volk hebt auf Schilden oder Schultern einen Abgott der Massen auf den Thron und setzt ihn für die Dauer ein. Man ermahnt uns ständig – nein, früher ermahnte man uns ständig –, auf Rom zu blicken und uns in Acht zu nehmen. Der Lehrer wies auf Roms strenge Tugend, seine Unbestechlichkeit, seine Freiheitsliebe, seinen aufopfernden Patriotismushin – damals war Rom noch jung und arm; dann erinnerte er an Roms spätere Zeit, als die Hochblüte seines materiellen Wohlstandes und die gewaltige Ausbreitung seines Herrschaftsbereiches einsetzte, frohlockend vom Volke begrüßt, das nicht ahnte, dass es sich nicht um glückverheißenden Glanz, wohltätigen Segen handelte, sondern um eine Krankheit, die den Keim des Todes in sich trug.
Der Lehrer erinnerte uns daran, dass Roms Freiheiten nicht an einem Tage unter den Hammer kamen, sondern behutsam, nach und nach, heimlich, ganz allmählich aufgekauft wurden; zuerst mit etwas Getreide und Öl für die wahrhaftig Ärmsten und
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