LaVyrle Spencer
halte mich bitte da raus. Wenn du weiterhin Situationen
schaffen willst, mit denen du nicht fertig wirst – gut, das ist deine Sache.
Ich habe mit Melissa ein neues Leben angefangen und mir bewiesen, daß ich ohne
dich leben kann. Als wir uns kennenlernten, warst du derjenige, der ein
Ziel hatte und in Sicherheit lebte. Jetzt haben wir anscheinend die Plätze
vertauscht. Was ist aus deinen Plänen, ist aus deiner Zuversicht geworden?«
Vielleicht habe ich beides verloren,
als ich dich verließ, dachte Clay.
Er stand auf und blieb mit dem
Rücken zu ihr stehen.
Sie sagte: »Vielleicht solltest du
irgendwohin gehen, um Ordnung in deine Gedanken und Gefühle zu bringen. Wenn du
mich danach wiedersehen willst ...« Doch sie beendete den Satz nicht, sondern
fügte hinzu: »Aber komm nie wieder hierher, außer du willst bleiben.«
Clay straffte die Schultern und
verließ wortlos das Haus.
30
Catherine war gefühlsmäßig wieder in dem
Zustand, den sie durchlebt hatte, als Clay sie zum erstenmal verließ. Sie
verfiel in Tagträume und verlor sich in Erinnerungen. Alle ihre Gedanken
drehten sich um Clay. Oft stand sie am Fenster, blickte zum Sternenhimmel empor
und versuchte sich vorzustellen, wo er gerade war. Clay, den sie nur unter
einer Bedingung haben wollte und deswegen vielleicht nie haben würde. Die
Zufriedenheit, die sie in ihrer Liebe zu Melissa erfahren hatte, genügte ihr
plötzlich nicht mehr. Mitten in den alltäglichsten Verrichtungen wurde sie
abrupt von einem Gefühl der Leere überfallen. Ständig sah sie Clays Gesicht vor
sich. Seine Abwesenheit raubte ihr jede Freude. Ohne ihn kam ihr ihr Leben leer
und sinnlos vor.
Weihnachten kam näher und brachte
die bittersüße Erinnerung an den Heiligabend, den sie gemeinsam in Clays
Elternhaus verbracht hatten. Catherine graute davor, dieses Fest allein mit
Melissa verbringen zu müssen. Sie rief Tante Ella an und würde gemeinsam mit
Ada den ersten Weihnachtsfeiertag bei ihr verbringen. Aber auch das half ihr
nicht sehr über ihre Trübseligkeit hinweg. Sie wagte nicht, die Lichter an
ihrem winzigen Weihnachtsbaum anzuzünden, denn sie fürchtete sich vor den
Erinnerungen an das Fest in Angelas und Claibornes Haus – dieses zauberhafte
Haus voller Liebe, Licht, Musik und familiärer Geborgenheit.
Familie. Ach, eine Familie. Das war
die eigentliche Wurzel von Catherines Unglück, war es ihr Leben lang gewesen.
Mit Tränen in den Augen sah sie Melissa an, denn auch ihr Kind würde nie die
Geborgenheit einer Familie erfahren. Sie stellte sich vor, Clay würde wieder
vor ihrer Tür stehen, aber dieses Mal würde es anders sein. Dieses Mal würde er
ihr sagen, daß er sie liebte, und sie würden gemeinsam mit Melissa zu seinen
Eltern fahren, um dort Weihnachten zu verbringen. Catherine schloß die Augen,
roch den Kerzenduft, erinnerte sich an zärtliche Küsse und Mistelzweige ...
Doch das waren Tagträume. In
Wirklichkeit würde sie den Heiligabend allein mit ihrer Tochter verbringen, und
niemand würde Geschenke unter ihren Weihnachtsbaum legen.
»Wollen wir nicht einen Weihnachtsbaum
aufstellen?« fragte Clay.
»Wozu?«
fragte Jill.
»Weil
Weihnachten ist. Deswegen.«
»Ich habe keine Zeit dazu. Wenn du
einen willst, dann stell ihn selber auf.«
»Du
scheinst nie Zeit für häusliche Dinge zu haben.«
»Clay, ich arbeite acht
Stunden am Tag! Du hattest doch nie Sinn für derartige Sentimentalitäten.«
»Nie?«
»Ach, Clay, fang keinen Streit an,
bitte. Ich suche meinen blauen Kaschmirpullover, den ich morgen anziehen will.
Verdammt, wo könnte er nur sein?«
»Wenn du einmal im Monat hier
Ordnung machen würdest, müßtest du nicht dauernd deine Sachen suchen.« Im
Schlafzimmer herrschte ein chaotisches Durcheinander.
»Ach, jetzt fällt's mir wieder ein«,
rief Jill freudig. »Ich habe ihn letzte Woche in die Reinigung gebracht. Clay,
sei ein Schatz, und hol ihn für mich ab, ja?«
»Ich bin nicht dein Botenjunge. Hol
ihn doch selbst.«
Sie kam zu ihm und sagte
einschmeichelnd: »Sei nicht böse, Liebling. Ich dachte nur, du hättest
vielleicht gerade Zeit.« Als sie ihm mit ihrem lackierten Fingernagel über die
Lippen strich, wandte er den Kopf ab.
»Jill, du scheinst zu glauben, daß
nur du arbeitest.«
»Aber, Liebling, ich habe viel zu
tun. Morgen treffe ich zum ersten Mal den Projektingenieur und will einen guten
Eindruck machen.« Mit einem Kuß versuchte sie, ihn aufzuheitern, aber sie
hatte ihn nun zum drittenmal Liebling
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