LaVyrle Spencer
Namen
anzureden. Aber das sind nur wenige. Die betrachten mich als ihre Wärterin,
doch für die meisten bin ich eine Freundin. Ich hoffe, das werde ich auch für
dich sein.«
Catherine nickte nur. Sie wußte
nicht, was sie sagen sollte. »Ich spüre, daß du befangen bist, Catherine, aber
das brauchst du nicht zu sein. Kümmere dich um dich und dein Kind, in aller
Ruhe. Später wirst du Entscheidungen treffen müssen. Dabei können dir die
jungen Frauen helfen, die alle dasselbe Problem wie du haben. Wir wollen dir
nicht eine bestimmte Rolle aufzwingen, auch werden wir deine Entscheidungen
nicht kritisieren. Aber wir hoffen, daß du dir Gedanken über deine Zukunft
machst und darüber, wie du dein Leben gestalten willst, nachdem du Horizons verlassen hast. So ... für unsere Kartei brauchen wir jetzt ein paar
Informationen, die natürlich absolut vertraulich
behandelt werden. Deine Privatsphäre bleibt strikt gewahrt. Hast du mich
verstanden, Catherine?«
»Ja. Aber ich möchte gleich betonen,
daß ich nicht will, daß meine Eltern erfahren, wo ich mich aufhalte.«
»Das brauchen sie nicht zu wissen.
Diese Entscheidung geht nur dich etwas an.«
»Die anderen Angaben ...« Catherine
schwieg und blickte auf die Karteikarte, worauf in einer Spalte stehen müßte:
»Name des Vaters« oder etwas Ähnliches. Doch solch eine Spalte gab es nicht.
»Wir üben hier keinen Zwang aus. Du
brauchst nur auszufüllen, was du ausfüllen möchtest. In diesen ersten Tagen
möchten wir hauptsächlich, daß du dein inneres Gleichgewicht wieder
zurückgewinnst. Wenn ich mich einmal so ausdrücken darf. Du wirst sehen, daß
die Gespräche mit den anderen Mädchen dir sehr dabei helfen werden. Ich rate
dir nur, ihnen allen mit Offenheit zu begegnen, denn jedes hat ein anderes
Schicksal hinter sich und kann dir vielleicht eine Hilfe sein.«
»Sind alle so freundlich wie die,
die ich bereits kennengelernt habe?«
»Nein. Es gibt auch welche, die
verbittert und verschlossen sind. Hier lebt ein Mädchen, das durch seine
Situation zur Kleptomanin geworden ist. Aber hier wird sie dafür nicht
bestraft. Du wirst Francie sicher bald sehen. Falls sie dir etwas stiehlt, laß es mich bitte wissen.
Ich glaube, das wird bald geschehen, weil sie dich auf die Probe stellen will.
Am besten reagierst du darauf, indem du sie um
etwas bittest oder um ihren Rat fragst. Dann gibt sie immer zurück, was sie
gestohlen hat.«
»Ich will
es mir merken.«
»Gut. Nun,
Catherine, wie ich schon gesagt habe, während der ersten
Tage sollst du dich ausruhen und die anderen kennenlernen. Ich höre gerade die
ersten kommen.« In diesem Moment erschien Marie.
»Habt ihr
alles besprochen?«
»Alles«, antwortete Mrs. Tollefson.
»Gib Catherine etwas zu essen, falls sie Hunger hat. Dann kannst du sie den
anderen vorstellen.«
»Ja«, sagte Marie. »Komm, Catherine.
Hier entlang geht's zur Küche.«
Etwa eine halbe Stunde später begleitete Catherine Bobbi
zum Wagen. Sie blieb stehen, und Bobbi warf einen Blick zum Haus zurück.
»Ich weiß nicht, wie ich mir das
hier vorgestellt habe, aber das hätte ich nicht erwartet. Mir fällt ein Stein
vom Herzen, dich hier zu wissen, Catherine.«
»Ja. Mir
wird es sicher gefallen – ganz ehrlich.«
»Versprichst du mir, anzurufen, wenn
du etwas brauchst?«
»Ich verspreche es.«
Dann schwiegen beide und hingen
ihren Gedanken nach, die um jenen vierten Juli kreisten und alle Geheimnisse,
die sie seit ihrer Kindheit geteilt hatten. Doch dies war das größte Geheimnis.
Dann
umarmten sie sich stumm.
»Mach's gut«, sagte Bobbi
schließlich mit Tränen in den Augen.
»Ja. Und
danke für alles.«
Und erst als Bobbi weggefahren war,
gestand sich Catherine ein, daß auch sie am liebsten geweint hätte. Aber sie
tat es nicht. Diese Schwäche gestattete sie sich schon lange nicht mehr.
4
Vor genau vierundzwanzig Stunden war Herb Anderson im Haus
der Forresters erschienen, und während dieser vierundzwanzig Stunden hatte
Clay wenig geschlafen und konnte sich noch weniger auf sein Jurastudium
konzentrieren. Angela hörte seine Autotür zuschlagen und ging zum Schreibtisch,
wo Claiborne in seinem Drehstuhl saß. »Er ist gerade gekommen, Liebling. Wollen
wir bei unserer Entscheidung bleiben?«
»Ganz
gewiß.«
»Aber du brauchst ihn nicht gleich
wie einen Angeklagten hinter deinem Schreibtisch zu empfangen. Komm, setzen wir
uns aufs Sofa.«
Als Clay
das Arbeitszimmer betrat, wirkte er abgespannt. »Wir müssen
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