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Lazyboy

Lazyboy

Titel: Lazyboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Weins
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Küchentisch, und ich muss sie mir durchlesen, Artikel über die Melancholie von Ameisen zum Beispiel aus dem Wissenschaftsteil, ich weiß nicht, wie sie darauf kommt, so etwas könnte mich interessieren. Sie schneidet sowieso gerne Dinge aus der Zeitung aus, Bilder, Fotos, Artikel. Sie klebt sie in ein Album und notiert mit dem Bleistift in ihrer unleserlichen Vogelschrift ein paar Worte dazu, ihre Art, Tagebuch zu führen. Monika trägt selbst gestrickte Ringelsocken. Monika und ich essen leidenschaftlich gerne, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Wenn ich an Monika und mich denke, sehe ich uns vor ihrem Kühlschrank sitzen und Käsestücke und Schokolade, die sie aus unerfindlichen Gründen im Kühlschrank aufbewahrt, in Serie in uns hineinschieben.
    Ich sehe uns nur sehr unscharf miteinander alt werden, dafür umso plastischer miteinander dick werden. Monika ist großzügig, finanziell und Menschen gegenüber. Manchmal ist sie allerdings auch sehr streng, vor allem, was mich anbelangt, das bezieht sich auf meine Art, mich zu kleiden und auf meine Lebensgewohnheiten, aber ich glaube, im Grunde will sie mich gar nicht anders haben, im Grunde will sie, dass ich mich empöre, dass ich mich wehre, wenn ich sie als übergriffig empfinde, wenn sie mich mit ihren schnippischen Meinungen konfrontiert, dass ich sage: so nicht und ein beleidigtes Gesicht mache und trotzdem mit meinen sogenannten Freunden trinken gehe.
    Manchmal, abends, wenn ich bei ihr bin, sitze ich einfach nur da und sehe zu ihr hinüber, während sie Fernsehen guckt auf dem Sofa und ich auf dem 50er-Jahre-Cocktailsessel vorgebe, etwas zu lesen, irgendein stupides Magazin. Ich schaue sie an, und das reicht mir manchmal schon als perfekte Abendgestaltung.
    In den folgenden Tagen passierte es mehrere Male. Einmal kam ich in einem Parkhaus am Stadtrand zu mir, in dem ich noch nie in meinem Leben gewesen bin. Ich öffnete eine Tür und stand in einem Paradies aus grauem Beton, von einer sehr gelben Neonleuchte belichtet, gelbe Fahrbahnmarkierungen auf dem Boden, schwarze Reifenspuren.
    Ich versuchte, schnell zurück durch den Spalt zu schlüpfen, aber hinter der Tür befand sich nur noch Treppenhaus. Ich kam viel zu spät in die Redaktion, aber das kennen die da schon.
    Das andere Mal stand ich plötzlich, ich hatte auf dem Weg zur Arbeit rasch Wurst einkaufen wollen, in der Schmetterlingsfarm in Aumühle, das fand ich schön, poetisch-zauberisch und ohne Eintritt zu bezahlen. Eben noch beim Bedienen der Ladentür der satte Geruch von Blut und Gewürzen, und plötzlich Sandwege mit Pflanzenwuchs an den Seiten unter einem Glasdach, Holzbrücken über pittoresk angelegte künstliche Wasserwege, und überall in der Luft kleine, große, dicke, dünne, bunte und schwarz-weiße, zart flatternde Falter. Ich schwenkte mein Einkaufsnetz wie einen Schmetterlingskescher.
    »Was ist mit dir los?«, fragte mich mein Chefredakteur, als ich endlich im Büro angekommen war. »Du siehst durch den Wind aus. Ich kenne das im Grunde ja von dir, dass du in einem gewissen Rahmen unzuverlässig bist. Aber jetzt treibst du es zu weit. Man kann sich ja gar nicht mehr auf dich verlassen.«
    »Ich bin müde«, sagte ich. »Ich bin urlaubsreif. Ich fühle mich nicht gut.«
    »Dann geh zum Arzt«, sagte er und ließ mich stehen, direkt vor der Scheibe zum Großraumbüro, wo die anderen gafften.
     
    4
    »Ich weiß nicht, ob es Ihnen schon aufgefallen ist«, sagt Dr. Brose und reibt dabei einen gelb-orangefarbenen Bleistift an seiner Ohrmuschel auf und ab, was mich ablenkt und irritiert. Er hat wirklich dumbohaft große Ohren.
    »Ihr eigenartiger Gedächtnissprung oder wie auch immer wir es nennen wollen, scheint immer dann einzutreten, wenn Sie im Begriff sind, den Raum zu wechseln. Ist Ihnen das so weit schon aufgefallen?«
    »Nein«, sage ich verblüfft. Es ist mir tatsächlich nicht aufgefallen. Wie gut, dass es Mediziner gibt.
    »Wenn Sie einen Raum verlassen«, sagt er, »erleben Sie anscheinend manchmal und wiederholt eine Art Bewusstseinstrübung. Vielleicht fallen Sie beim Verlassen in eine Art Trance, von der wir noch nicht wissen, was sie auslöst. Aber das ist nur eine Arbeitshypothese.«
    »Jetzt, wo Sie es sagen«, sage ich.
    Tatsächlich ist es mir bislang überhaupt nicht aufgefallen. Aber jetzt erscheint es mir augenfällig, dass meine sonderbaren Transfers von Ort zu Ort immer dann eintreten, wenn ich den Raum wechsele, wenn ich eine Tür durchschreite.
    Wie ferngesteuert

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