Leadership: Lehren, die mich durchs Leben führten (German Edition)
eines Abends in einem Mall am Ort ins Kino. Als wir zu unserem Wagen zurückkehrten, sah uns die Dame, die neben uns geparkt hatte, herüberkommen. »Oh«, sagte sie, »ich kenne Sie. Sie sind …?« Der Name fiel ihr nicht ein, und so blieb ich einen Augenblick stehen, da ich ihr Gelegenheit geben wollte, ihr Gedächtnis zu durchforsten. Nach einer langen Minute sagte ich: »Ma’am, ich bin Colin Powell.« Sie sah mich verdutzt an und entgegnete: »Nein, den habe ich nicht gemeint.« Damit stieg sie in ihren Wagen und fuhr davon. Ich werde oft als jemand erkannt, den man kennen sollte, dabei aber für einen anderen gehalten. Erst neulich am Atlanta Airport deutete ein deutscher Tourist auf mich und sagte zu seiner Frau: »Das ist General Schwarzkopf.« Wenn solche Verwechslungen passieren, verhindert Alma, dass ich spontan zu den Leuten sage, ich sei Denzel Washington … Wenn wir uns doch nur aussuchen könnten, mit wem man uns verwechselt.
Mit der Zeit wurden die Geschichten immer mehr, und ich fragte mich, ob sie den Stoff für ein Buch liefern könnten. Die meisten glichen den Geschichten, die ich in der ersten Hälfte meiner Memoiren
Mein Weg
erzählt habe – persönliche Geschichten darüber, wie ich aufwuchs, wie ich aus guten und schlechten Erfahrungen lernte und mich als Army-Offizier entwickelte. Daran erinnern sich die Leute viel besser als an die zweite Hälfte des Buches, in der ich auf die ernsten und tief greifenden Ereignisse der achtziger und neunziger Jahre eingehe – das Ende des Kalten Krieges, Desert Storm, die Reorganisation der Streitkräfte, die Wiedervereinigung Deutschlands und vieles andere mehr. Vielleicht werden Historiker an diesen Seiten Interesse finden, aber siebzehn Jahre nach dem Erscheinen von
Mein Weg
werde ich immer noch nach den privaten Geschichten gefragt, nach den Geschichten über einfache Leute. Ich habe viele davon für dieses Buch umgeschrieben.
Als mir der Haufen zusammengewürfelter Geschichten ansehnlich genug erschien, zeigte ich ihn ein paar guten Freunden und vertrauenswürdigen Agenten. Ihre Reaktion war erfreulich. »Diese Geschichten sind nicht bloß eine unterhaltsame Lektüre«, wurde mir bescheinigt. »Sie zeigen, dass du etwas Wichtiges über das Leben und die Führung von Menschen gelernt hast. Vielleicht könnten auch andere davon lernen. Wie wär’s, wenn du ein Buch daraus machst?«
Die meisten Kapitel in dem Buch, die aus dem Stapel angehäufter Anekdoten entstanden sind, handeln von Menschen, denen ich in meinem Leben begegnet bin – Familienangehörigen, Freunden, Kollegen, Vorgesetzten, Anhängern, Gegnern, ein oder zwei Feinden, einigen Reichen, einigen Armen, einigen Arroganten, einigen weniger Arroganten.
Ich habe von den meisten Menschen, denen ich begegnet bin, gelernt, und ich habe versucht, den Menschen, die ich geführt habe, ein Vorbild zu sein. Im Leben und beim Führen anderer darf nicht das
Ich
im Mittelpunkt stehen. Das
Wir
muss im Mittelpunkt stehen. Die Menschen müssen im Mittelpunkt stehen. Ich weiß noch, wie ich Anfang der siebziger Jahre in Washington an einer kleinen Beförderungsfeier teilnahm. Ich weiß nicht mehr, wer befördert wurde oder wo genau die Feier stattfand. Aber ich erinnere mich noch lebhaft, dass Admiral Hyman G. Rickover, der Vater des Navy-Atomprogramms, eine kleine Ansprache hielt. Rickover war so barsch und fordernd, wie ein Vorgesetzter nur sein kann, und hatte auf dem Capitol Hill enormen Einfluss.
Nach dem Beförderungsritual wurde Rickover gebeten, ein paar Worte zu sprechen. Was er sagte, hat sich mir tief ins Gedächtnis eingegraben: »Nicht Organisationen erledigen Dinge. Nicht Pläne und Programme erledigen Dinge. Nur Menschen erledigen Dinge. Organisationen, Pläne und Programme helfen den Menschen entweder oder behindern sie.«
Die Weisheit seiner Worte hat mein Leben geprägt.
1972 habe ich ein einjähriges Praktikum als White House Fellow abgeleistet. Seitdem fühle ich mich den Fellows verbunden. Jedes Jahr spreche ich zu den neuen Praktikanten, und jedes Jahr weise ich sie auf Folgendes hin: Keine gute Idee hat Erfolg, nur weil sie eine gutes Idee ist. Gute Ideen brauchen Verfechter – Menschen, die bereit sind, an sie zu glauben, für sie einzutreten, für sie zu kämpfen, Anhänger und Mitstreiter zu gewinnen und am Ball zu bleiben, bis sie Erfolg haben. Ich lasse eine damit verbundene Wahrheit folgen: Schlechte Ideen sterben nicht einfach deshalb, weil sie wirklich schlecht sind.
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