Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
wie du gelebt hast.
Deshalb streuen wir deine Asche nun ins Meer, das deine letzte Heimat sein
soll. Hier sollst du endlich deinen Frieden finden.«
Während Leander die Asche leicht über Bord rieseln ließ, kam
ein leichter Wind auf, nahm sich ihrer an und verteilte sie weitflächig auf der
sich kräuselnden Wasseroberfläche. Die Beerdigungsgäste standenschweigend
an der Reling, die Kutterkapitäne warfen Blumen hinterher und sahen mit ihren
Mützen in der Hand zu, wie die Asche sanft schaukelnd zwischen den Booten
hindurch auf die offene See zu trieb.
»Jetzt wird auch Henning endlich seinen Frieden finden«,
flüsterte Lena Eiken zu, die ihre Hand nahm und sie fest drückte.
»Hoffentlich!«
*** E N D E ***
Epilog
Zum Verhältnis von Wahrheit
und historischer
Wirklichkeit
Erich Kästner hat dereinst das Verhältnis von Wahrheit und
Wirklichkeit so beschrieben, dass alles das wahr sei, was Wirklichkeit sein
könnte bzw. wirklich hätte passieren können. Auf dieser Basis ist die Handlung
um Heinrich »Hinnerk« Leander erfunden und wahr zugleich, denn sie beruht auf historischen
Fakten, die ich im Folgenden kurz darstellen möchte.
***
Friesen sind stolz und stur. Das ist nicht einfach nur ein
Vorurteil und auch gar nicht böse gemeint, sondern es ist der Versuch, das
besondere Geschichtsbewusstsein der Menschen, die an und mit der Nordsee leben,
zu beschreiben. Stolz sind die Friesen auf ihre heroische Geschichte als
Handelskapitäne und Walfänger, denn die Holländer wären aus der
nordfriesischen Selbstwahrnehmung heraus als führendes Handelsvolk gar nicht
erst in Erscheinung getreten, hätte es zum Beispiel nicht die Föhrer Kapitäne
aus Nieblum gegeben. Auch der größte Walfänger aller Zeiten stammt von der
Insel Föhr und liegt heute auf dem Friedhof von Sankt Laurentii in Süderende
begraben: Matthias Petersen, der Glückliche Matthias , hat immerhin 373
Wale gefangen, das ist spitze! Darauf also sind die Friesen, allen voran die
Föhrer, stolz, und das können sie auch sein, haben sie doch Jahrhunderte lang
den Unbilden des Blanken Hans getrotzt.
Weniger stolz scheinen sie auf ihre Rolle während des Dritten
Reiches zu sein. Finden sich Publikationen ohne Ende über die Geschichte der
Nordfriesischen Inseln und Halligen, in denen die Zeit des Walfangs, der Handelsschifffahrt
und des Entstehens der Seebäder über Hunderte von Seiten gründlich dargestellt
und fototechnisch abgelichtet sind, so fehlt in diesen Büchern regelmäßig der
winzige Zeitraum von zwölf Jahren, der in der Geschichte des übrigen
Deutschlands eine ganz entscheidende Rolle spielt. Man bekommt geradezu den
Eindruck, als hätten die Inseln gar nicht bemerkt, dass andernorts der
Nationalsozialismus sein Unwesen trieb. Fragt man aber bei den älteren Leuten
auf den Inseln nach, so kommt der zweite Charakterzug der Friesen zum Tragen:
ihre Sturheit. »Das hat hier keine Rolle gespielt!«, hört man da zum Beispiel,
oder: »Damit hatten wir nichts zu tun!«, oder: »Das gab es hier nicht, das war
nur auf dem Festland!«
Die Geschichte des Bäder-Antisemitismus ist inzwischen
umfassend erforscht und entspricht den im Roman angegebenen Daten. Waren die
geschichtlichen Darstellungen in den Heimatmuseen der deutschen Nordsee-Inseln
früher von selektiver Wahrnehmung geprägt und, wie oben bereits dargelegt, auf
z. B. die Walfangzeit beschränkt, so weisen sie heute alle auch eine Darstellung
des Bäder-Antisemitismus und seiner gesellschaftlichen und historischen Zusammenhänge
auf. Vorbildlich ist zum Beispiel die selbstkritische Aufarbeitung im Museum
der Insel Borkum.
Die militärgeschichtliche Vergangenheit der Insel Sylt ist
ebenfalls seit langer Zeit gesichert und war auch angesichts der Besitzungen
der Bundesmarine auf der Insel nie wirklich zu verheimlichen. Anders sieht das
auf der Insel Föhr aus. Dort hat man sich über Jahrzehnte hinweg auf die große
Geschichte der Walfangzeit konzentriert, was auch nicht schwerfiel, da es in
den Dörfern zahlreiche Zeugnisse aus eben dieser Zeit gibt, z. B. die
Kapitänshäuser in dem malerischen Dörfchen Nieblum. Die Geschehnisse aus der
Zeit des Dritten Reiches waren hingegen bei den Heimatforschern, die all das,
was man in den Museen bestaunen kann, zusammengetragen haben, lange Zeit kein
Thema.
So verdankt die nordfriesische Insel Föhr den Anstoß zu einer
ehrlichen und vollständigen Aufarbeitung ihrer Geschichte einem unnachgiebigen,
langmütigen
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