Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
entgegenzutreiben und dabei immer
wieder an den Bankreihen links und rechts einen vorübergehenden und wackeligen
Halt zu suchen.
Leander dachte, dass er sie auf der Insel bei einer späteren
Begegnung nicht wiedererkennen würde – anonyme Gestalten wie all die anderen
unten im Salon, die die Tage zwischen den Jahren auf Föhr verbringen wollten,
um gleich zu Jahresbeginn wieder in ihren Alltag auf dem Festland
zurückzukehren, gute Vorsätze für ein ruhigeres neues Jahr im Gepäck, die zu
Hause mit der schmutzigen Wäsche in der Waschmaschine verenden würden.
Vor Leander löste sich ein schmaler heller Streifen aus dem
Grau. Gleich darauf schwenkte die Uthlande nach steuerbord und lief nun
immer parallel zu dem Streifen, bei dem es sich, das erkannte Leander nun, um
den Südstrand der Insel Föhr handelte. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern,
bis sie den Hafen von Wyk erreichten. An Steuerbord musste irgendwo im
Schneetreiben die Hallig Langeneß liegen, an Backbord tauchte nun ein kleines
Leuchtfeuer auf. In diesem Moment bemerkte Leander, dass er zum ersten Mal seit
Jahren kein Rauschen und Pfeifen in den Ohren hatte, und diese ungewohnte
Stille kam ihm auf merkwürdige Weise fremd und beruhigend zugleich vor.
Er löst sich von der Reling und spürte, wie schmerzhaft sich
seine Fingergelenke auf dem kalten Eisen verkrampft hatten. Dann wandte er sich
der Treppe zu, strebte dem Salon entgegen, der nun verwaist dalag, und folgte
dem Abgang zum Autodeck.
Von hier aus hatte er nur noch die Bordwand und die Autos um
sich herum im Blick, und da waren nicht wenige Fahrer, die den halbstündigen
Nikotinentzug im Salon der Fähre offenbar nur mühsam überstanden hatten und nun
in ihren Fahrgastzellen ihre Familien mit extrem giftigen lungengängigen
Substanzen und Feinstäuben kontaminierten.
Einer Statistik des Bundesgesundheitsministeriums hatte Leander
jüngst entnommen, dass durch die Folgen des Passivrauchens in Deutschland weit
mehr Menschen pro Jahr starben als durch Heroin, Aids, den Straßenverkehr und
Mord und Totschlag zusammen. Lena hatte gewitzelt, sie sollten lieber Raucher
verhaften als Mörder, zumal man die Luftverpester ohne große Ermittlungsarbeit
überall auf frischer Tat ertappen könne. Leander hatte darüber nicht lachen
können.
Die übrigen Fahrgäste saßen bereits bei laufenden Motoren in
ihren Autos und wischten an den immer wieder neu beschlagenden Scheiben herum,
bis die Klimaanlagen sie von selber frei hielten. Leander atmete Diesel-und
Benzingestank, als er sich zwischen den Fahrzeugen hindurch zu seinem eigenen
Auto quetschte. Er saß kaum hinter dem Lenkrad, da schwenkte die Fähre nach
Steuerbord und drosselte ihre Fahrt, um schließlich in den Wyker Hafen
einzulaufen und mit einem spürbaren Aufprall anzulegen.
Das Anlegemanöver verlief in umgekehrter Reihenfolge des
Ablegemanövers in Dagebüll. Derselbe Matrose bediente die Ladeluke und ließ die
Bordwand hochklappen. Reisende ohne Pkw drängten sich mit ihren Koffern und
Taschen direkt hinter ihn und durften nun als Erste die Fähre verlassen. Dann
folgten auf ein Zeichen des Matrosen die mittlere Pkw-Reihe und gleich darauf
zuerst die linken und dann die rechten Fahrzeugschlangen. Leander war, da er
einer der Letzten in Dagebüll gewesen war, nun schnell an der Reihe. Er fuhr
langsam an und holperte über die Kante zwischen Ladeluke und Pkw-Rampe. Dann
ging es schräg hinauf, vorbei an den Reisenden ohne Fahrzeug, die links und
rechts der Straße geduckt durch den Schneeregen in Richtung Hafenausfahrt
eilten.
Bei diesem Wetter standen nur wenige Menschen am Anleger, um
auf Anreisende zu warten. Leander hielt nach seinem Großvater Ausschau, konnte
ihn aber nirgendwo entdecken. Also beschleunigte er seinen Wagen und steuerte
auf die Hafenausfahrt zu.
Die Autos vor Leander bogen
gleich auf den Parkplatz vor den Gebäuden, um im Hafenbüro ihre Rückfahrt
festzulegen. Er aber lenkte daran vorbei und durch das Hafentor hindurch, das
Innenhafenbecken rechts, die Flutmauer zur Innenstadt Wyks links liegen
lassend. Kurz darauf ordnete er sich links ein. Geradeaus ging es zu den
Inseldörfern, aber das Haus seines Großvaters lag direkt in Wyk, in einer
Seitenstraße der Fußgängerzone und somit in relativer Hafennähe, da Leanders
Großvater zeitlebens Krabbenfischer gewesen war.
Hinter dem Großraumparkplatz auf der rechten Seite des
Heymannsweges ordnete Leander sich erneut links ein und bog in die Badestraße
ab,
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