Leander und die Stille der Koje (German Edition)
Polizisten einfach nur unüberschaubaren Situation hatte er sein Revier im Griff gehabt und zwischen den Vorschriften und der Fürsorgepflicht seinen Insulanern gegenüber geschickt abgewogen. Jeder andere Depp hätte die Leiche einfach so liegen gelassen, wie er sie vorgefunden hatte. Da hätten die Festlandskollegen doch gleich falsche Schlüsse gezogen oder, falls sie richtige gezogen hätten, ohne Rücksicht auf die gesellschaftliche Stellung des Toten das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.
Diese Formulierung, die Hinrichs da gerade durch den Kopf gegangen war, gefiel ihm, weil sie seine ganze Verachtung für die unsensible Art der beiden Flensburger Kripo-Leute enthielt. Während er an den Schwimmstegen des Yachthafens vorbeischlenderte, glitt ein Grinsen über Hinrichs’ Gesicht, und für einen Moment war er fast schon wieder versöhnt mit seinem Schicksal.
Doch als er darüber nachdachte, dass Bennings und Dernau ihm geradezu die Chance auf eine Beförderung kaputtmachten, stieg die kalte Wut wieder in ihm hoch. Was bildeten sich diese Idioten eigentlich ein? Niemals würden sie hinter die Geheimnisse der Insel kommen, kein Mensch würde mit ihnen so reden wie mit einem einheimischen Polizisten, den die Insulaner als einen der ihren wahrnahmen, als denjenigen, der Recht und Ordnung in ihrem Sinne aufrechterhielt und dabei auch einmal fünf gerade sein ließ. Er, Torben Hinrichs, wog genau ab, bevor er das Gesetz gegen einen seiner Fehringer anwandte. Da konnte es auch schon einmal bei einer Verwarnung bleiben, wenn eigentlich nach den Buchstaben des Gesetzes eine Anzeige fällig war. Da drüben zum Beispiel, der Krabbenkutter, der jetzt am Yachthafen vorbeituckerte und dabei weit in die Schutzzone 1 vordrang, obwohl die niemand betreten durfte: Sollte er sich dessen Kennung nun aufschreiben und gleich ein Bußgeldverfahren eröffnen? Nein, natürlich galt es hier abzuwägen. Der Kutter verfuhr schon die Hälfte des Erlöses vom heutigen Fang an Diesel. Wenn der Fischer jetzt auch noch Strafe zahlen musste, konnte er niemals auf einen grünen Zweig kommen. Zudem waren die offiziellen Fanggründe ohnehin schon so überfischt, dass man eben nur in den geschützten Bereichen überhaupt noch etwas fangen konnte. So etwas musste man wissen, dann konnte man auch entsprechend rücksichtsvoll handeln. Jeder Festlandsdepp hätte das doch gar nicht begriffen.
Aber noch war nichts verloren: Er würde weiter den unterbelichteten Inselbullen geben, sich dabei ein wenig herumschubsen lassen und im Hintergrund dafür sorgen, dass die Dinge nicht aus den Fugen gerieten. Sollten die Flensburger ihn ruhig für blöd halten. Im Grunde war das sogar ganz nützlich und verschaffte ihm einen nicht unerheblichen Spielraum. Und später, wenn alles vorbei war, würde er Hilke Rickmers und Ture Jacobsen die Rechnung für seine Diskretion und überlegte Handlungsweise präsentieren. Dann war ihm der Hauptkommissar sicher – wenn nicht sogar mehr.
Hinrichs näherte sich nun dem Café Klein Helgoland , das wie immer bei diesem Wetter draußen keinen freien Platz mehr bot. Also schob er sich durch die Urlauber zwischen den Tischen hindurch in den Gastraum und rief Jupp hinter der Theke seine Bestellung zu. Der nickte nur, ohne aufzusehen, drehte sich um und gab sie zur Durchreiche in die Küche weiter. Zwei Minuten später verließ Hinrichs mit zwei Bechern Cappuccino das Lokal, wühlte sich wieder durch bis zum Radweg unterhalb des Deiches und setzte sich auf eine der Stufen, die zum nächsten Schwimmsteg hinunterführten.
Jetzt erst mal ausruhen, dachte er, nur nicht übereilt zurück rennen. Der Wiese konnte auf seinen Cappuccino ruhig etwas warten. Bei dem Gedanken wurde Torben Hinrichs jedoch etwas mulmig zumute, weil er ahnte, was passieren würde, wenn Wiese sich über den kalten Kaffee beschwerte. Und dem Wiese war das zuzutrauen. Wenn der jemandem eins auswischen konnte, dann tat er es. Und ihn, Hinrichs, hatte der ohnehin auf dem Kieker, weil der Oberkommissar nicht jedes Kinkerlitzchen weiterverfolgte, das der anzeigte. So weit kam das noch, dass die wahren Steuerzahler hier, die Jäger und die Landwirte, ein Bußgeld nach dem anderen zahlen mussten, nur weil dieser Idiot Wiese ihnen ständig auflauerte und jedes kleine Vergehen gleich zur Anzeige brachte. Es wurde höchste Zeit, dass dem endlich einer das Handwerk legte!
Hinrichs nahm einen großen Schluck aus seinem Cappuccino-Becher und stellte fest, dass die braune
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