Leander und die Stille der Koje (German Edition)
und verließ das Zimmer.
»Herr Wiese, wenn ich das alles richtig verstanden habe, waren Sie gestern Abend alleine mit Ihrem Auto unterwegs.«
Wiese nickte und nahm einen Schluck von seinem Cappuccino.
»Hat Sie irgendjemand auf Ihrer Tour gesehen, der bezeugen kann, dass Sie nicht in der Nähe der Boldixumer Vogelkoje gewesen sind?«
»Sie können sicher sein, dass ich gesehen wurde. Ich stehe nämlich unter ständiger Beobachtung hier auf der Insel. Selber habe ich niemanden bemerkt. Aber entlastende Aussagen werden Sie von keinem Bauern hier bekommen. Die wären froh, wenn sie mir endlich etwas anhängen könnten.«
»Kannten Sie Herrn Rickmers näher?«
»Wie man sich so kennt, wenn man jahrelang Zoff miteinander hat. Den Arfsten kenne ich besser; hat schon in der Schule immer von mir abgeschrieben und ist heute noch genauso doof wie damals.«
»Moment, ich dachte, Sie kommen vom Festland. Uns liegen Informationen vor, dass Sie zugezogen sind.«
»So ist es, allerdings war ich acht Jahre alt, als ich mit meinen Eltern auf die Insel gekommen bin. Das ist jetzt über vierzig Jahre her, aber zugezogen bleibt man für mehr als eine Generation. Die Friesen sind da sehr eigen.«
Bennings schaute Dernau an und schüttelte den Kopf. »Mir scheint, es gibt vorsintflutliche regionale Eigenarten, die ich gar nicht verstehen will. Gibt es etwas, das uns weiterhelfen könnte? Ich meine, haben Sie eine Ahnung, wer Herrn Rickmers getötet haben könnte?«
»Sie meinen, außer mir? Keine Ahnung. In den Kreisen kenne ich mich nicht aus. Vielleicht war da noch eine Rechnung zu begleichen, ein Streit zwischen seinem Urgroßvater und dem eines anderen Inseldöskopps, wer weiß. Mir gefällt das jedenfalls gar nicht, dass Rickmers tot ist. Der Kerl war berechenbar. Wer weiß, was für ein Heini jetzt die Leitung der Jägerschaft übernimmt. Dieser Paulsen steht bestimmt schon in den Startlöchern, und mit dem ist nicht gut Kirschen essen. Ich vermute, dass er hinter den Anschlägen auf unsere Flächen steckt. Letzte Woche hat mich jemand mit seinem Wagen vom Weg abgedrängt. Ich kann es nicht beweisen, aber ich vermute, dass er es war. Ich bin im Graben gelandet und hatte hinterher Mühe, das Auto mit dem Trecker wieder freizubekommen. Jedenfalls ist Paulsen wesentlich radikaler als Rickmers und war mit dessen eher liberaler Art überhaupt nicht einverstanden.«
»Haben Sie Herrn Paulsen angezeigt?«
Wiese nickte resigniert. »Klar, allerdings musste das als Anzeige gegen Unbekannt laufen. Und mal ehrlich: Was bringt das schon? Ich hatte keine Zeugen, und bevor denen hier jemand an die Karre fährt …«
»Gut, Sie können dann jetzt gehen. Herr Olufs fährt Sie nach Hause. Stellen Sie ihm bitte kurz Ihre Pensionsgäste vor, die Ihr Alibi bestätigen können, dann ist die Sache vorerst für Sie erledigt.«
Bennings erhob sich und gab Wiese die Hand. Dernau, der dem Gespräch schweigend gefolgt war, nickte ihm nur kurz zu.
»Was hältst du von dem Mann?«, fragte Bennings, als Wiese den Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatte.
Dernau zuckte mit den Schultern. »Solche Gutmenschen sind mir suspekt. Wir sollten ihn nicht aus den Augen verlieren. Wer weiß, wie weit er geht, um seine Enten zu schützen.«
»Möwen«, verbesserte Bennings ihn grinsend. »Möwen und Gänse, und dann noch Alpenstrandläufer und wer weiß wie viele andere Telegrafenmasthocker.«
»Und nun? Feierabend?«
Bennings schaute auf seine Armbanduhr und schüttelte den Kopf. »Zu früh. Die ersten Ergebnisse der KTU können wir nicht vor morgen Nachmittag erwarten, eher übermorgen. Zuerst muss unser toter Jägermeister mal in Flensburg sein. Frau Rickmers, Arfsten und Wiese haben wir verhört, bleiben noch diese Frau Olsen und der junge Rickmers. Ruf doch gleich mal an, ob er inzwischen zu Hause ist. Ich nehme mir in der Zwischenzeit diese Speicherkarte vor. Ist bestimmt interessant, wie es in der Hütte ausgesehen hat, als der Tote noch dringelegen hat. Mann, Mann, Mann, lässt der einfach die Leiche abtransportieren …! Dieser Hinrichs ist wirklich die letzte Nulpe.«
Dernau ging aus dem Zimmer, um vorne in der Wache zu telefonieren. Bennings nahm die Speicherkarte vom Schreibtisch, zog seinen Laptop aus der Aktentasche und stellte ihn vor sich auf den Tisch. Er klappte ihn auf, ließ ihn hochfahren und suchte derweil nach dem Kartenschlitz. Die Speicherkarte passte aber nicht hinein. Der Laptop hatte einen SD-Karten-Schacht,
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