Leaving Paradise (German Edition)
zum Paradise Park knöpfe ich mein Hemd so weit auf, wie es mir passt. Es gibt niemanden, der mir dabei zusieht oder mich ansieht oder mit mir redet oder mich angafft. Ich wünsche mir so sehr, ich könnte das vergangene Jahr zurückspulen und noch einmal von vorn anfangen. Das Leben gewährt einem diesen Wunsch nicht. Man kann die Vergangenheit nicht auslöschen, aber ich werde versuchen, die Menschen dazu zu bringen, sie zu vergessen.
Ich erreiche den Park und betrachte die vertraute, alte Eiche, auf die ich schon als Kind geklettert bin. Drew und ich sind mal um die Wette geklettert, wer am höchsten kommen würde. Ich habe gewonnen, kurz bevor der Ast, auf dem ich stand, brach und ich zu Boden fiel. Nach dem Sturz hatte ich sechs Wochen lang einen Gips, aber das war mir egal. Ich hatte gewonnen.
Ich gucke nach oben, versuche den abgebrochenen Ast auszumachen. Ist er immer noch da und zeugt von dem Tag, der so lange her ist? Oder hat der Baum genug Jahreszeiten durchlebt, um die Vergangenheit auszulöschen?
Als ich den Baum umkreise, höre ich überrascht, wie jemand nach Luft schnappt. Direkt vor mir, am Stamm der alten Eiche lehnend, sitzt Maggie Armstrong.
6 Maggie
Ich bemerke eine Bewegung neben mir und mit einem Mal wird mir klar, dass ich nicht allein bin. Mein Kopf fährt hoch. Da steht ein Junge vor mir, einer, den ich aus meinen Albträumen kenne. Aber er ist kein Trugbild meiner Fantasie. Er ist es wirklich – Caleb Becker in Fleisch und Blut. Er sieht nach oben, als würde er nach etwas Wichtigem Ausschau halten. Ich kann nicht verhindern, dass ich instinktiv nach Luft schnappe.
Er hört mich und richtet seinen Blick blitzschnell auf mich. Er rührt keinen Muskel, nicht einmal, als der Blick seiner eisblauen Augen mit meinem verschmilzt.
Das letzte Jahr hat ihn verändert. Damals hat er sich nur knallhart gegeben, doch jetzt umgibt Caleb eine bedrohliche Aura. Sein Haar ist kurz geschnitten, sein Hemd steht offen und erlaubt einen Blick auf seinen muskulösen Oberkörper. In Kombination mit der engen Hose, die seine Oberschenkel umspannt, schreit das geradezu Gefahr!
Ich bekomme keine Luft. Ich bin wie erstarrt. Vor Wut. Vor Panik. Vor Angst.
Wir befinden uns in einer Pattsituation, in der keiner von uns ein Wort sagt. Wir starren uns nur an. Ich glaube, ich könnte nicht mal blinzeln. Die Zeit steht still.
Ich habe ihm unendliche Male von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden. Aber nun ist alles anders. Er sieht nicht einmal aus wie er selbst, abgesehen von der geraden Nase und der selbstbewussten Haltung, die Caleb Becker schon immer ausgemacht hat und die wahrscheinlich auch immer zu ihm gehören wird.
»Das ist seltsam«, sagt er und bricht damit das lange Schweigen. Seine Stimme ist tiefer und dunkler, als ich sie in Erinnerung habe.
Dies ist etwas anderes, als ihn von meinem Schlafzimmerfenster aus zu sehen.
Wir sind allein.
Und es ist dunkel.
Und oh, es ist etwas völlig anderes.
Ich versuche aufzustehen, weil ich das starke Bedürfnis nach der Sicherheit meines Zimmers habe. Ein heißer, stechender Schmerz schießt mein Bein hoch und ich zucke zusammen.
Entsetzt und schockiert beobachte ich, wie er einen Schritt auf mich zu macht und meinen Ellbogen nimmt.
Oh. Mein. Gott. Ich reiße mich instinktiv von ihm los. Erinnerungen daran, wie ich bewegungsunfähig an ein Krankenhausbett gefesselt bin, strömen auf mich ein, während ich mich aufrichte.
»Fass mich nicht an«, sage ich.
Er hebt abwehrend die Hände, als hätte ich gerade Hände hoch! gesagt.
»Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, Maggie.«
»Doch … tue ich wohl«, sage ich panisch.
Ich höre, wie er ausatmet und dann zurücktritt. Aber er geht nicht, er sieht mich einfach mit einem merkwürdigen Blick an. »Wir waren mal Freunde.«
»Das ist lange her«, erwidere ich. »Bevor du mich angefahren hast.«
»Es war ein Unfall. Und ich habe meine Schuld gegenüber der Gesellschaft beglichen.«
Es ist ein total surrealer Moment und einer, von dem ich nicht will, dass er länger dauert als irgend notwendig. Während ich innerlich vor Nervosität zittere, sage ich: »Du magst der Gesellschaft gegenüber deine Schuld beglichen haben, aber was ist mit dem, was du mir schuldest?«
Als die Worte meine Lippen verlassen haben, kann ich kaum fassen, dass ich sie ausgesprochen habe. Ich wende mich ab und hinke nach Hause, ohne mich noch einmal umzudrehen. Ich bleibe nicht stehen, bis ich vor unserer Haustür
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