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Leb wohl! (German Edition)

Leb wohl! (German Edition)

Titel: Leb wohl! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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unerschütterliche Grenadier. »Oho! der Kamerad ist tot.« »Der arme Laurent!« sagte der Major. »Laurent! Stand der nicht bei den fünften Jägern?« »Ja.« »Dann ist er mein Vetter ... Bah, es lohnt sich nicht, das Hundeleben, das man in diesen Zeiten führt, zu betrauern.« Der Wagen ließ sich nicht wieder aufrichten, die Pferde ließen sich nicht ausspannen, ohne daß man unendlich viel unwiederbringliche Zeit verlor. Der Stoß war so heftig gewesen, daß die junge Gräfin, die die Erschütterung geweckt und ihrer Starrheit entrissen hatte, sich aus ihren Decken löste und aufstand.
    »Philipp, wo sind wir?« rief sie mit sanfter Stimme, indem sie sich umsah. »Fünfhundert Schritte vor der Brücke. Wir wollen die Beresina überschreiten. Auf der andern Seite des Flusses, Stephanie, werde ich Sie nicht mehr quälen; dann lasse ich Sie schlafen. Da sind wir in Sicherheit; wir erreichen Wilna in aller Ruhe. Gebe Gott, daß Sie nie erfahren, was Ihr Leben gekostet hat!« »Du bist verwundet?« »Das ist nichts.«
    Die Stunde der Katastrophe war gekommen; die Kanonen der Russen verkündeten den Tag. Nachdem sie sich Studjankas bemächtigt hatten, beschossen sie die Ebene; und beim ersten Licht des Morgens sah der Major, wie sich auf den Höhen ihre Kolonnen bewegten und aufstellten. Ein Schreckensschrei brach aus dem Schoß der Menge hervor; sie war im Augenblick auf den Füßen. Instinktiv begriffen alle die Gefahr und drängten mit der Bewegung einer Welle zur Brücke hin. Die Russen kamen mit der Geschwindigkeit eines Brandes heran. Männer, Frauen, Kinder, Tiere, alles drängte zur Brücke. Zum Glück waren der Major und die Gräfin noch ziemlich weit vom Fluß entfernt. Der General Eblé hatte eben an die Gerüste des andern Ufers Feuer gelegt. Trotz der all jenen erteilten Warnungen, die diese Planke der Rettung betraten, wollte niemand zurückweichen. Nicht nur brach die Brücke zusammen unter dieser Last von Menschen, sondern der Druck der Menschenflut, die auf diese verhängnisvolle Böschung zugedrängt wurde, war so groß, daß eine menschliche Masse auch noch wie eine Lawine ins Wasser gejagt wurde. Man vernahm keinen Schrei, sondern nur etwas wie den dumpfen Lärm eines ungeheuren Steins, der ins Wasser fällt; dann war die Beresina mit Leichen bedeckt. Die Rückwärtsbewegung derer, die wieder in die Ebene drängten, um diesem Tode zu entgehen, war so heftig, und der Zusammenprall mit denen, die noch vorwärts schritten, so furchtbar, daß eine große Zahl von Menschen erdrückt wurde. Der Graf und die Gräfin von Vandières verdankten ihr Leben dem Wagen. Die Pferde kamen um, nachdem sie eine Masse von Sterbenden zermalmt und zerstampft hatten, selbst zerstampft und zertreten unter den Füßen einer menschlichen Trombe, die über das Ufer hinstrich. Der Major und der Grenadier fanden Rettung in ihrer Kraft: sie töteten, um nicht getötet zu werden. Dieser Wirbelwind menschlicher Gesichter, diese Flut und Ebbe von Leibern, die die gleiche Bewegung belebte, hatten zur Folge, daß das Ufer der Beresina einige Augenblicke lang leer blieb. Die Menge hatte sich in die Ebene zurückgeworfen. Wenn sich noch einige Menschen oben von der Böschung in den Fluß warfen, so geschah es weniger in der Hoffnung, das andere Ufer zu erreichen, das für sie Frankreich bedeutete, als vielmehr, um den sibirischen Wüsten zu entgehen. Die Verzweiflung wurde für einzelne Leute zum Rettungsmittel. Ein Offizier sprang von Eisscholle zu Eisscholle bis zum andern Ufer; ein Soldat kroch wie durch ein Wunder über einen aus Leichen und Eisschollen gebildeten Haufen. Diese ungeheure Volksmenge begriff schließlich, daß die Russen nicht zwanzigtausend erstarrte, stumpfsinnige, waffenlose Menschen töten würden, die sich nicht einmal verteidigten; und nun warteten alle in furchtbarer Ergebenheit ihr Schicksal ab. Der Major und sein Grenadier, der alte General und seine Frau blieben wenige Schritte von der Stelle zurück, wo die Brücke gewesen war. Alle vier standen sie schweigend, mit trockenen Augen, umringt von einer Totenmasse, aufrecht da. Ein paar noch ungeschwächte Soldaten, einige Offiziere, denen die Umstände ihre ganze Energie zurückgaben, umringten sie. Die ziemlich zahlreiche Gruppe zählte etwa fünfzig Menschen. In einer Entfernung von zweihundert Schritten bemerkte der Major die Trümmer der für die Wagen erbauten Brücke, die am vorletzten Tage zusammengebrochen war. »Laßt uns ein Floß bauen!« rief

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