Leb wohl! (German Edition)
sagte d'Albon, indem er dem alten Mann die Hand drückte. »Mein Freund erwartet mich; Sie werden ihn bald sehen.«
»Sie ist es also wirklich?« rief Sucy, als er die ersten Worte des Marquis vernommen hatte. »Ach, ich hatte noch daran gezweifelt!« fügte er hinzu, während seinen schwarzen Augen, deren Ausdruck gewöhnlich streng war, ein paar Tränen entrollten. »Ja, es ist die Gräfin von Vandières«, erwiderte der Richter. Der Oberst stand auf und begann sich in aller Eile anzuziehen. »Wie, Philipp,« sagte sein Freund erstaunt, »solltest du wahnsinnig werden?« »Aber mir fehlt nichts«, erwiderte der Oberst schlicht. »Diese Nachricht hat all meine Schmerzen gelindert; und wie könnte von Leiden noch die Rede sein, bei dem Gedanken an Stephanie? Ich will ins Kloster; ich will sie sehen, mit ihr sprechen, sie heilen. Sie ist frei: nun, das Glück soll uns noch einmal lächeln, oder es gäbe keine Vorsehung. Glaubst du denn, daß diese arme Frau mich vernehmen könnte, ohne die Vernunft zurückzugewinnen?« »Sie hat dich schon einmal gesehen, ohne dich zu erkennen«, erwiderte der Richter sanft; denn da er die überspannte Hoffnung seines Freundes bemerkte, suchte er ihm heilsame Zweifel einzuflößen. Der Oberst erzitterte; aber er lächelte und hatte eine ungläubige Geste. Niemand wagte, sich dem Vorhaben des Obersten zu widersetzen. Wenige Stunden darauf war er bei dem Arzt und der Gräfin von Vandières in der alten Abtei.
»Wo ist sie?« fragte er, als er eintraf. »Sch!« erwiderte Herr Fanjat, Stephanies Onkel. »Sie schläft. Sehen Sie, dort ist sie.«
Philipp sah die arme Wahnsinnige auf einer Bank in der Sonne kauern. Ihr Kopf war gegen die Gluten der Luft geschützt durch den Wald von Haaren, die ihr Gesicht wirr verdeckten; ihre Arme hingen anmutig bis zur Erde hinab; ihr Körper lag in reizvoller Haltung da, ähnlich der einer Hirschkuh; die Beine hatte sie mühelos unter sich zusammengezogen; ihre Brust hob sich in gleichen Zwischenräumen; ihre Haut, ihr Gesicht hatte jene Weiße des Porzellans, die wir im durchscheinenden Teint der Kinder so sehr bewundern. Genoveva saß reglos neben ihr und hielt in der Hand einen Zweig, den Stephanie ohne Zweifel im höchsten Wipfel einer Pappel gebrochen hatte; die Idiotin bewegte das Laubwerk leise über ihrer schlafenden Gefährtin hin und her, um die Fliegen zu verjagen und die Luft aufzufrischen. Die Bäuerin sah Herrn Fanjat und den Obersten an. Dann wandte sie wie ein Tier, das seinen Herrn erkannt hat, den Kopf langsam wieder ihrer Gefährtin zu und überwachte sie, ohne das geringste Zeichen des Staunens oder des Verständnisses zu verraten. Die Luft war glühend; die Steinbank schien zu funkeln, und die Wiese sandte einen Ungewissen, wie Goldstaub über den Kräutern tanzenden und flackernden Dunst zum Himmel empor. Aber Genoveva schien diese zehrende Hitze nicht zu spüren. Der Oberst drückte die Hände des Arztes krampfhaft in den seinen. Dem Offizier liefen die Tränen, die seinen Augen entrannen, die männlichen Wangen herab und fielen zu Stephanies Füßen ins Gras.
»Seit zwei Jahren«, sagte der Onkel, »bricht mir tagtäglich das Herz. Bald wird es Ihnen gehen wie mir. Wenn Sie auch nicht mehr weinen werden, so werden Sie Ihren Schmerz darum doch spüren.« »Sie haben sie gepflegt!« sagte der Oberst, dessen Augen ebensoviel Dankbarkeit wie Eifersucht ausdrückten.
Die beiden Männer verstanden sich; und indem sie sich nochmals kräftig die Hände drückten, blieben sie reglos stehen, indem sie die wundervolle Ruhe betrachteten, die der Schlummer über dieses reizende Geschöpf ausgoß. Von Zeit zu Zeit ließ Stephanie einen Seufzer vernehmen; und bei diesen Seufzern, die alle Anzeichen des Gefühls trugen, durchschauderte den unglücklichen Obersten ein Wohlgefühl. »Ach,« sagte Herr Fanjat leise, »täuschen Sie sich nicht, Herr Oberst, Sie sehen sie in diesem Augenblick bei ihrer vollen Vernunft.«
All jene, die ganze Stunden lang damit beschäftigt waren, ein zärtlich geliebtes Wesen, dessen Augen ihnen beim Erwachen zulächeln mußten, im Schlaf zu betrachten, werden ohne Zweifel die süße, furchtbare Empfindung verstehen, die den Obersten bewegte. Für ihn war dieser Schlummer eine Illusion; das Erwachen mußte ein Tod sein, und zwar der grauenhafteste Tod. Plötzlich lief eine junge Ziege in ein paar Sätzen auf die Bank zu und beschnupperte Stephanie, die von dem Geräusch erwachte. Sie sprang leicht auf die Füße,
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