Leben bis zum Anschlag
Kopfhörer auf und mischt die Drums ab. Auf Noras Fragen reagiert er nicht. Aber er wirkt entspannt, glücklich, in seinem Element.
Na dann, denkt sie und prüft mit der Linken den Inhalt ihres Leinentäschchens. Im vorderen Teil sind CDs, hinten fünf USB-Sticks. Im Vorbeigehen hat sie bereits ein paar ihrer Kunden entdeckt. Aber sie scheut das Bad in der Menge. Unfreiwilliger Körperkontakt, davon hat sie bereits eine Überdosis hinter sich. Bei jeder Berührung zuckt sie zusammen, und die Fans der Türken schieben sie immer mehr Richtung Bühne, wo es am vollsten ist. Sie kämpft sich an den Rand. Eine extrem nervöse Stimmung herrscht vor. Liegt das am Wetter oder an der Band oder ist es gar nicht wahr, reine Projektion? Nora gibt ein paar Jungs aus ihrer Schule ein Zeichen. Hinter der Bar treffen sie sich und Noras Downloads und Geld wechseln die Taschen.
Uzzz-uzzz-uzzz. Die Türken ballern gegen die Schallmauer, roh und mit voller Kraft. Das tut bis ins Mark gut und bringt die Knochen zum Schwingen. Nora tanzt und vergisst alles. Bis sie von ein paar Klopfern auf die Schulter wieder in die Wirklichkeit gezerrt wird, ein paar Scheiben vertickt und endlich weitertanzen kann.
Kein Fan des harten Sounds ist Dali, deshalb bleibt er schön hinter der Theke und stillt den Durst der langen Schlange davor.
Neben ihm schiebt Maika eine dringend benötigte Cola mit viel Eis über den Tresen und sagt: »Achtzehn kriege ich dann von dir. Und die lieber heute als morgen.«
»Hä?« Ein ungläubiger Seitenblick Dalis streift sie, bleibt irritiert an ihrem selbstgefälligen Lächeln hängen, dann schnallt er es: »Du meinst mich! Sprichst du von deiner zehnprozentigen Provision?«
»Exakt.«
»Schlampe!« In gespielter Empörung schüttelt Dali die Faust.
»Ich mache zig Entwürfe, kritzle ein Cover nach dem andern, leiste Überzeugungsarbeit und setze nach tausend Worten endlich beim Chef eine neue Optik durch. Und du willst kassieren?«
»My name is Merten, Maika Merten.« Maika kopiert Bond, James Bond. In aller Bescheidenheit und mit ungeübtem Englisch.
»Du hast die Lizenz zum Nerventöten!« Ohne seine Agentin Maika hätte Dali Hausverbot im Club, keine neuen Freunde und keinen Job. Ihrer Gabe, Nachteile in Vorteile zu verwandeln, hat er es zu verdanken, dass seine erste Sprühaktion im Club für ihn gut ausgegangen ist. Leif Borg, der Chef, ist Wachs in ihren Händen. Mit Freuden drückt Dali zehn Prozent von allem, was er im Club verdient, an sie ab. Sie hat es verdient.
»Wann blechst du?«
»Nicht bevor ich die Knete hab, geldgieriges Weib.«
Mehmet lässt Nora nicht aus den Augen. Das ist nicht schwer. In ihren weißen Klamotten ragt sie wie die Kerze in den Händen einer Ministrantin aus dem wilden Punkerhaufen heraus. Irgendwas stimmt nicht mit ihr, sie ist blass. Mehmet kriegt nicht mit, wie sie aus ihrem Leinentäschchen, das aussieht, als gehöre es zur Bluse, CDs verkauft. Aber es nervt ihn, dass sie so oft angequatscht wird.
Keath geht’s genauso. Das Konzert ist ausverkauft und Dali hat ihn abgelöst und kontrolliert die Tür. Endlich kann er was trinken.
Und noch einer beobachtet Nora unauffällig. Er wanzt sich langsam an sie ran und zischt: »Hast du Koks?«
»Verpiss dich«, brüllt Nora.
Keath ist schon unterwegs.
Nora wirft einen alarmierten Blick zu Mehmet, der sich auch bereits zu ihr durch die Menge pflügt. Der Typ, Marke Troublemaker, taucht ab und ist wie vom Erdboden verschluckt, als Mehmet und Keath bei Nora ankommen.
»Der hat nach Koks gefragt.« Nora sieht sich hektisch um. »Ich muss aufs Klo. Irgendwas stimmt heute nicht. Da sind ein paar extrem nervöse Typen unterwegs.«
Nora verschwindet in der vorletzten Kabine und zieht die Spülung. Dann schließt sie den Klodeckel und beugt sich zu der kaum sichtbaren Revisionsöffnung neben dem Abflussrohr hinunter. Sie löst die eingefasste Kachel und lässt die letzten CDs, eine Hand voll Scheine und zwei USB-Sticks in dem Hohlraum verschwinden. Was ist da draußen los? Warum haut einer ausgerechnet sie nach Koks an? Nora verschließt die Öffnung wieder und schiebt mit dem Fuß die Klobürste davor. Die enge und viel benutzte Klokabine ist nicht halb so eklig wie der kleinste Gedanke an Schuhmacher. Ist er der Grund für ihre Beklemmungen?
Nora krempelt die Bluse bis zu den Ellbogen hoch, wäscht sich die Hände und lässt kaltes Wasser über ihre Arme laufen. »Uff, viel zu schnell viel zu heiß geworden.«
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