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Leben bis zum Anschlag

Leben bis zum Anschlag

Titel: Leben bis zum Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
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Situation, Mehmet. Ich kenn dich besser als meinen Vater. Aber es ist so, Alter. Die Gefühle …« Keath weiß nicht weiter, hat keine Ahnung, wie er die Kurve zu Mehmets Verständnis kriegen kann. »Ich will dich nicht verlieren, mein Freund.«
    »Freund?« Ihre Blödelei im Pool und die Flucht vor dem Hausmeister haben in Mehmet tausend kindliche Erinnerungen an gemeinsam erlebten Quatsch geweckt. Der Absturz in eisige Kälte ist gewaltig. Irgendwo muss Mehmet sich festhalten. Da ist nur Sand unter seinen Füßen.
    »Wir gehen uns nie verloren. Wir machen unser Ding und machen zusammen Musik und ziehen unseren eigenen Club auf, Mehmet.«
    Bedeutungslose, leere Worte, auch wenn sie beschwörend klingen. Er hebt den Arm, will, dass Nora aufhört. Alles ist so
weit weg. Auf der anderen Seite der Elbe krachen Container aufeinander. Irgendwo heulen Sirenen.
    Mehmet muss verstehen, was sie meint. Er darf nicht einfach dichtmachen. »Was soll ich denn machen? Wir können nicht heimlich …«
    »Wir! Wir? Von welchem WIR laberst du überhaupt? Es gibt kein WIR, hat nie eins gegeben!«, brüllt Mehmet und stapft los. Er muss weg von da, allein sein.
    Die Wut überkommt Nora völlig unerwartet. Sie rennt los, stellt sich Mehmet in den Weg und schlägt ihm gegen die Brust. »Wieso tust du so, als gäbe es kein WIR? Ich labere von einem Meer von WIR! Einer unglaublichen Menge WIR! Aber hab ich nicht trotzdem das Recht, mich zu verlieben? Alle haben doch Rechte! Alle wollen was von mir! Jeder beharrt auf seinem Recht auf sein Wollen! Zu Hause, in der Schule, im Club, hier, in Polen, überall! Und ich? Ich etwa nicht? Tu nicht so, du Arsch, als ob ich nicht mal anfangen dürfte, was zu wollen!« Sie dreht den Kopf weg. Bloß nicht flennen.
    »Fang doch an! Mach, was du willst! Ihr wollt nicht heimlich? Bitte! Knutscht offen, fickt im Sand, ist mir scheißegal!« Mehmet breitet die Arme aus.
    An Nora ist seine einsame Heldenpose verschenkt. Sie sieht ihn nicht an. Sie hält sich an Keaths Augen fest.
    Hinter Mehmet bleibt es still, und mit jedem Schritt hat er das Gefühl, noch mehr zu verlieren. Aber er kann nicht stehen bleiben. Rauch steigt ihm in die Augen. Sie brennen. Er hört die Leute an den Grillfeuern lachen. Im weichen Sand sinkt er ein, schwankt und geht zum Wasser, am Wassersaum entlang, wo der Sand fester ist. Alles verloren, alles verflüssigt sich. Von weit weg dringt das Geräusch der Wellen, der Möwenschreie
und des Hafenlärms in sein Bewusstsein. Alles vorbei, alles geht weiter, so muss sterben sein. Schiffe kommen, werden entladen, beladen, fahren weiter. Holz verbrennt und Wind trägt die Asche fort.
     
    »Jetzt weiß er’s. Von uns.« Vage kann Nora Mehmets Gestalt vor dem mit Hafenlicht eingefärbten Wasser erkennen, bevor er völlig verschwindet.
    »Wir sollten uns nichts vorwerfen«, sagt Keath ruhig.
    »Nein«, murmelt Nora, »das wär blöd. Wir haben alles gesagt.« Sie lässt sich in den Sand fallen. Keath legt sich neben sie. Er streichelt sie. Seine Hand ist warm, ihre Bluse und das Hemd sind noch feucht und ihre Haut darunter kalt. Er zieht sein T-Shirt aus. Nora knöpft die Bluse auf und zieht ihr Hemd über den Kopf.
    »Meins ist trocken«, flüstert Keath, »willst du’s?«
    »Ich will deine Haut spüren ohne was dazwischen.«
    Eng umschlungen gibt es kein Dazwischen mehr.
    »Jetzt ist es mir egal, falls jemand kommt, der uns kennt.«
    »Mir auch. Ich seh nix und niemanden und kann eh nicht hinschauen, ich bin oben ohne«, flüstert Nora.
    »Ich seh das nicht so, ich schwör.« Seine Zunge hört nicht auf, an den zwei höchsten Punkten von oben ohne herumzuspielen.
    Langsam dreht Nora durch. Ihre Sinne spielen verrückt unter seinen Händen und dem Rhythmus des Hafensounds. In der Dunkelheit entdeckt sie die Schönheit von Keaths Körper; das gibt ihm den Rest.
    »Hör auf. Ich fleh dich an«, stöhnt er.
    »Wieso?«
    Keath gräbt sein T-Shirt aus dem Sand und zieht es Nora über. »Steh sofort auf.«

    »Bloß wenn du mich trägst.«
    Noras Bluse ist feucht und voller Sand. Keath legt sie sich um den Hals und hängt sich ihren Leinenbeutel um. »Auch wenn es unserm besten Freund scheißegal ist … Ich kann hier nicht.« Er sieht sich um. »Ich spür tausend Augen auf uns gerichtet. Da in den Hecken, kuck mal. Ich hab Schiss.«
    »Nichts wie weg.« Nora steht auf und ist etwas wackelig auf den Beinen. Das T-Shirt rutscht ihr über die Schultern und geht ihr fast bis zu den

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