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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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hämmerte er brutal in die Tastatur. „Kein Small Talk, antworte einfach.“
    Wieder dauerte es ewig, bis sich etwas rührte. Schrieb Sascha einen Monolog? Was sollte das? Andreas brannte innerlich und die Furcht nagte an seinem Rückgrat, drohte ihn einknicken zu lassen.
    „Weil ich es gerne wollte. Und weil ich dachte, du möchtest es auch.“
    Wie bitte? Fünf Minuten Bedenkzeit und dann kam eine kryptische Rückmeldung? Weil er es wollte und dachte, Andreas wollte es auch? Das war keine Antwort. Das war ein weiteres Rätsel.
    „Dass dich keiner gezwungen hat, habe ich mir fast gedacht“, gab er sarkastisch zurück. „Aber wieso hast du es getan? Weil deine Freundin weit weg ist? Warum machst du dich an Kerle ran? Wenn ich mich richtig erinnere, bist du zu Hause rausgeflogen, weil du mit einem Mädel herumgemacht hast. Also warum ich?“
    Dieses Mal kam die Rückmeldung überraschend schnell: „Das Mädchen hieß Kai und er war nicht mein Freund. Das war eine einmalige Sache.“
    Wäre Andreas in diesem Augenblick an ein EKG angeschlossen gewesen, wäre das Gerät explodiert. Die „Sascha hatte es dringend nötig“-Theorie löste sich in Wohlgefallen auf. Das bedeutete nicht, dass er nun wusste, um was es ging oder was passiert war. Aber es bedeutete, dass Sascha entgegen aller Vermutungen ... heilige Scheiße!
    „Das heißt, du bist ...?“, tippte Andreas sehr langsam und mit unvorteilhaft offen stehendem Mund. Was für ein Segen, dass er Sascha nicht gebeten hatte, das Problem von Angesicht zu Angesicht zu klären. Er machte in diesem Moment unzweifelhaft eine schlechte Figur.
    Oh Gott. Er wollte es sehen. Schwarz auf weiß. Oder viel mehr Blau auf Schwarz.
    „Ja, ich bin schwul. Immer gewesen. Und ja, ich bin mir sicher. Nein, ich habe es nicht bei dir ausprobiert“, beantwortete Sascha in schneller Reihenfolge die Fragen, die Andreas als Nächstes gestellt hätte.
    Wahnsinn. Das hier war der pure Wahnsinn. Neue Welten eröffneten sich. Welten, die bisher nur in einem fantastischen Universum existiert hatten. Es war, als würde ihm jemand anhand von beinharten Fakten beweisen, dass Mittelerde, Narnia und das Nimmerland real waren, statt aus der Feder eines findigen Autoren zu stammen. Auf einmal gab es Möglichkeiten, Chancen, Wahrscheinlichkeiten, Hoffnung.
    Andreas runzelte die Stirn. Die Beule über seinem Auge schmerzte und erinnerte ihn daran, dass die Dinge kompliziert waren und blieben. Ja, Sascha war schwul, aber das erklärte vieles trotzdem nicht: „Warum hast du nie etwas davon gesagt? Warum hast du behauptet, du hättest wegen eines Mädchens umziehen müssen?“
    „Ist das dein Ernst? Aus demselben Grund, aus dem du deine Pornos hinter den anderen DVDs versteckst.“
    Wenn Andreas vorher schon überfordert gewesen war, dann gab es nun keinen Begriff mehr für seine widersprüchlichen Empfindungen. Zu erfahren, dass Sascha auf Männer stand, war eine Sache. Zu wissen, dass dieser seine Sammlung gefunden hatte, eine ganz andere. Moment mal, woher wusste Sascha überhaupt davon?
    Wie glühende Lava stiegen Scham und Zorn in ihm hoch. Dass Sascha ihm nicht die Wahrheit anvertraut hatte, verstand er. Andreas konnte nichts für sich in Anspruch nehmen, was er selbst nicht gab. Und er hatte sich auch nicht geoutet. Wer sollte die Sorgen eines schwulen Jungen besser verstehen als ein anderer homosexueller Teenager?
    Die Verlegenheit. Die Angst vor den Reaktionen. Das Gefühl, damit allein zu sein.
    Man ging mit diesem Wissen nicht hausieren. Dafür gab es zu viele Arschlöcher auf der Welt. Und wo er gerade dabei war: Andreas war nicht sicher, ob er glücklich war. Niemand wusste bisher von seiner Homosexualität.
    Egal, darauf kam es nicht an. Wie bitte kam Sascha dazu, in seinen ...
    „Geht's noch?“, tippte Andreas und setzte zu einer längeren Tirade an, als Sascha wieder zu schreiben begann.
    „Halt, Andreas, hau nicht ab“, stand auf einmal in der Chatbox. „Ich bin ein Idiot. Es tut mir leid. Ich habe nicht geschnüffelt. Das musst du mir glauben. Ich habe mir die Serien angesehen und das Brett hat sich gelöst und ist nach vorne gefallen. Ich habe nicht in deinen Sachen gewühlt. Und ich wollte dich auch nicht anlügen. Ich hätte mir hinterher am liebsten in den Hintern getreten. Es tut mir wirklich leid. Geh nicht. Lass es mich erklären.“
    Eigentlich wollte Andreas nichts mehr hören. Aber seine Hand weigerte sich, zur Maus zu gleiten und das Fenster zu schließen. Es gab so

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