Leben im Käfig (German Edition)
Partner griffen und im Halbschlaf begannen, ihn zu küssen oder zu berühren? Oder gehörte das in den Bereich der urbanen Legenden? Was, wenn er Sascha vor die Tür gesetzt hatte, obwohl er ihn bedrängt hatte und nicht anders herum? Diese Vorstellung trieb ihm das Blut in die Wangen.
Als die Nacht einbrach, hockte Andreas neben seinem Bett und erwischte sich dabei, dass er vorsichtig mit der Hand über das Kopfkissen strich. So viele Fragen und so wenig Antworten.
Warum hatte er sich nie erkundigt, ob Sascha eine Freundin zurückgelassen hatte? Weil ihm die Antwort wehgetan hätte. Aber davon ausgehend, dass Sascha nicht wusste, dass er schwul war, hätte der Freund nicht irgendwann einmal von ihr erzählen müssen? Er hatte Namen erwähnt, Mitschüler und auch Mädchen. Aber niemanden, bei dem Andreas das Gefühl gehabt hatte, dass er ihm wichtig war.
Und wo er gerade beim Thema wichtig war: Was bedeutete dieser Vorfall für die Zukunft? War ihre Freundschaft am Ende? Wollte er, dass diese Freundschaft am Ende war? Wollte Sascha es? Würden sie sich noch in die Augen sehen oder in der Gegenwart des anderen entspannen können? War es das wert, verdammt noch mal? Dass sie hinterher nervös umeinander schlichen und sich früher oder später verloren, weil sie die Gegenwart des anderen nicht mehr ertragen konnten?
Nein, das war es nicht wert. Definitiv nicht.
Gegen Mitternacht hatte Andreas seine Meinung geändert. Doch, es war es wert gewesen.
Umgeben von schützenden Schatten und auf seinem Bett liegend war es leicht, den intimen Augenblick erneut zu durchleben. Der saubere, ein wenig herbe Geruch in seiner Nase, der angenehme Druck auf seiner Brust, das Gefühl des Beins, das sich vertraulich an seinen Oberschenkel drängte. Der Mund, der ihn sanft berührte. Denn man konnte sagen, was man wollte: Sascha war nicht wie ein Berserker über ihn hergefallen oder hatte ihn gezwungen – mal abgesehen von der Kleinigkeit, dass Andreas geschlafen hatte. Er war vorsichtig gewesen.
Andreas wünschte sich, er hätte gewartet, bevor er aufsprang. Nur ein paar Sekunden länger, um mehr Stoff für seine Erinnerungen zu haben. Warum hatte er nicht mitgenommen, was ihm geboten wurde? Wer wusste schon, wann er je wieder die Gelegenheit bekam, jemandem nah zu sein? Er wünschte sich seit Wochen sehnlichst, Sascha küssen zu können. Und jetzt war es so weit und er verlor die Nerven? So verhielt sich nur ein Vollidiot.
Im Morgengrauen schmerzte es in seinem Kiefer. Vielleicht hatte er mit den Zähnen geknirscht. Auch seine Augen brannten und juckten vor Müdigkeit.
Er war über das Stadium des Denkens hinaus. Ihren kleinen Zusammenstoß immer wieder von Neuem in Gedanken durchzuspielen, immer wieder zwischen Zorn, Unsicherheit und anderen Gefühlen zu schwanken, war anstrengend. Besonders, da der Vortag bereits an seinen Kräften gezehrt hatte.
Jetzt, wo er nicht mehr nachdenken konnte und wollte, wo sein Körper gleichzeitig schmerzte und vibrierte, blieb nur noch das große Summen. Überall. Es ließ nur die positiven Effekte des Kusses zurück und vertrieb für eine Weile den Ballast, der damit einherging. Er fühlte sich nicht schlecht dabei, die Bilder aus einem Geist aufsteigen zu lassen. Wenn Sascha ihn ungefragt küsste, dann durfte er sich nicht wundern, wenn er hinterher als Masturbationsvorlage herhielt.
Aber es war schal und es war nicht genug. Es konnte nicht genug sein, wenn man vom wahren Leben nur eine Handbreit entfernt gewesen war und den Schwanz eingezogen hatte.
Als Andreas Montag morgens verbiestert im Unterricht saß und nicht richtig denken konnte, war wieder alles anders. Am liebsten hätte er Sascha geteert und gefedert. Aus seinem Leben gestrichen. Angeschrien. Denn jetzt hockte er wieder in der Bibliothek, hatte zu wenig geschlafen und konnte sich nicht konzentrieren. Bekam eine Standpauke gehalten, wusste, dass seinen Eltern Bericht erstattet würde, und wünschte sich, der vergangene Tag hätte nie stattgefunden.
Kapitel 23
Es musste eine Lösung her. Andreas wusste es schon seit Sonntag, aber er hatte die Entscheidung vor sich hergeschoben. Tausend Mal hatte er sich innerlich mit dem Dilemma auseinandergesetzt, ohne zu einem eindeutigen Ergebnis zu kommen. Es gab zu wenig Fakten und zu viele Spekulationen. Einige waren niederschmetternd, andere so erfreulich und paradiesisch, dass es ihm Angst machte, sie zuzulassen. Wer hoch flog, fiel tief, und er wollte nicht abstürzen.
Es
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