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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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war Mittwoch und er war nicht zum Unterricht gegangen. Irgendwann zwischen zwei Folgen einer Krimiserie hatte er am Vorabend entschieden, dass er etwas tun musste. Er musste die Enttäuschung beiseiteschieben, dass Sascha sich nicht gemeldet hatte. Ja, er hatte es ihm in seiner Verwirrung untersagt, Kontakt aufzunehmen, aber mittlerweile wünschte er sich, der andere würde den ersten Schritt machen.
    Die Ungewissheit brachte Andreas um. Er konnte es ertragen, in jemanden verliebt zu sein, der seine Gefühle nicht erwiderte. Er konnte mit der Kälte in seinem Elternhaus leben. Er konnte akzeptieren, dass sich sein Leben auf einem toten Gleis abspielte. Was er nicht aushalten konnte, war das Gefühl, nicht zu wissen, was auf ihn zukam.
    Er brauchte klare Verhältnisse, auch wenn das bedeutete, dass er etwas verlor, das ihm lieb und teuer war. Es war besser, den Stachel frühzeitig aus der Haut zu ziehen, statt darauf zu warten, dass die Wunde eiterte und mit scharfer Klinge geöffnet werden musste.
    Angst hatte er trotzdem, als er darauf wartete, dass der Vormittag in den Nachmittag überging. Und die einzige Möglichkeit, die Angst zu unterdrücken, war, sich auf seine Wut zu konzentrieren. Wut, weil Sascha ihn so durcheinandergebracht hatte. Weil er in sein Leben getrampelt war und alles auf den Kopf gestellt hatte. Weil er ihn geküsst hatte, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Weil er ihn benutzt hatte und hinterher nicht geblieben war, um die Scherben wieder zusammenzufegen. Weil er nicht gewartet hatte, bis Andreas wach war und das Ereignis mit allen Sinnen genießen konnte.
    Sein Zorn mochte teilweise künstlicher Natur sein, aber er verschaffte ihm etwas Mut. Was sollte schon passieren? Sie würden sich streiten und hinterher entscheiden, ob sie sich wieder treffen würden. Wenn nicht, dann nicht. Andreas hatte vorher ohne Sascha gelebt und er würde hinterher auch ohne ihn zurechtkommen. Er brauchte ihn nicht. Nein, wirklich nicht, redete er sich ein. Ihm war übel, speiübel sogar.
    Kurz vor drei Uhr. Wenn er Saschas Stundenplan richtig im Hinterkopf hatte, würde er bald daheim sein. Was, wenn er nicht online ging? Er hatte mit Sicherheit Hausaufgaben zu erledigen. Vielleicht war er auch mit seinen Freunden aus der Schule verabredet und saß gelassen in einem Café, während Andreas darauf wartete, die hässliche Situation bereinigen zu können.
    Jaja, das wäre typisch. Fröhlich durch das Leben streifen und den Deppen mit dem Dachschaden auflaufen lassen. War er ungerecht? Ja. Wollte er anders denken? Nein.
    Andreas' linkes Bein wippte in rascher Folge auf und nieder. Seine Finger, die auf der mattierten Schreibtischunterlage ruhten, fühlten sich wie Fremdkörper an. Warten. Warum wartete er? Er könnte genauso gut in Ruhe eine Runde surfen oder spielen. Aber nein, das brachte er nicht fertig. Nicht jetzt.
    Komm schon , feuerte er Sascha innerlich an. Besser, es war schnell vorbei. Pflaster zog man auch so rasch wie möglich ab und nicht langsam, sodass jedes einzelne Haar im Klebstoff wie ein Nadelstich unter die Haut ging.
    Als es endlich soweit war, hätte Andreas am liebsten den Computer ausgemacht. Er sah das Aufflammen des Namens und spürte einen Stich in der Brustgegend. Noch gab es ein Zurück. Noch konnte er die Hoffnung offen lassen und das Risiko umgehen. Er wünschte, er hätte mehr Ahnung von Freundschaften und Menschen und Männern und überhaupt von allem, was er in den letzten Jahren schmerzlich vermisst hatte.
    Wie beginnen? Mit einer Begrüßung oder mit einer Floskel? Fragen, wie es Sascha ging? Um den heißen Brei reden? Nein. Das machten seine Nerven nicht mit. Geradeaus, keine Schlangenlinien und im Zweifelsfall damit leben, dass er ein paar Verkehrshütchen umriss. Andreas holte tief Luft, beschwor das innere Tier und schrieb ohne jede Vorrede: „Warum hast du mich geküsst?“
    Genau, wie er erwartet hatte, dauerte es lange, bis eine Antwort kam. Dabei sollte es nicht schwer sein, eine einfache Frage zu beantworten.
    Was dachte Sascha gerade? Überlegte er, wie er Schadensbegrenzung betrieb? Wie er elegant aus der Sache herauskam?
    „Hallo“, kam es schließlich zurück. Na, immerhin schwieg er sich nicht aus. „Ich bin froh, dass du dich meldest. Ich habe schon gewartet.“
    Oh nein, diesen Weg wollte Andreas nicht gehen. Er wollte sich auch nicht vorwerfen lassen, zu lange ausgeharrt zu haben. Er wollte Antworten, nur Antworten.
    „Ich habe dich etwas gefragt“,

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