Leben im Käfig (German Edition)
das Größte für ihn; quasi sein liebstes Hobby.
Die letzte Schwelle hatten sie nicht übertreten. Auf ihre Weise hatten sie beide Respekt vor diesem Schritt. Nicht, dass sie es nicht gewollt hätten. Aber in Zeiten des Internets gab es genug Berichte über Schmerzen, im Eifer des Gefechts zugefügte Verletzungen und schlimme Erfahrungen beim Sex, um sie nervös zu machen.
Nein, es gab keinen Zweifel, dass sie es gerne wollten, aber sie waren ahnungslos. Die Frage, wer in welcher Position enden würde, war ungeklärt. Andreas schreckte die Vorstellung, Sascha zu verletzen oder selbst verletzt zu werden, und hinterher Blutflecken in seinem Bett erklären zu müssen.
Vermutlich waren diese Ängste weit hergeholt, aber in Sachen unbegründeter Panik war er bekanntlich gut.
Doch mittlerweile wurde ihm die Zeit des Wartens zu lang. Er wollte wissen, wie es sich anfühlte. Wenn es nicht funktionierte, konnte man es immer noch als gescheitertes Experiment zu den Akten legen. Alles, was er wusste, war, dass er Sascha noch näher sein wollte. Ein innerer Zwang verleitete ihn dazu. Er brauchte es.
Ein Geräusch auf dem Flur riss Andreas aus seinen Gedanken. Für einen verrückten Moment dachte er, Sascha käme zurück. Aber die schweren Schritte verrieten ihm, dass sein Vater sich näherte.
Augenblick, sein Vater? Was tat der schon daheim? Andreas hatte ihn nicht nach Hause kommen hören.
Hektisch schloss er seine Hose und ließ die verräterische Serienhülle unter seiner Bettdecke verschwinden. Mit einem Druck auf die Fernbedienung öffnete er den DVD-Player und hoffte, dass sein Vater nicht auf die Idee kam, einen Blick auf die DVD selbst zu werfen.
Verdammt, er wurde nachlässig. Es war ein Wunder, dass sie bisher nicht erwischt worden waren. Oder nein, eigentlich nicht. Denn auch, wenn Andreas nicht viel darüber nachdachte, waren seine Eltern in letzter Zeit noch seltener daheim als sonst. Manchmal kam es ihm vor, als würden sie gar nicht mehr in der Villa wohnen.
„Andreas, kann ich reinkommen?“, fragte Richard von Winterfeld von draußen.
„Wenn es sein muss“, gab sein Sohn zurück.
Die Tür öffnete sich: „Ja, muss es.“
Andreas wusste sofort, dass etwas nicht in Ordnung war.
Zögernd betrat sein Vater sein Zimmer, sah sich um und griff nach dem Lichtschalter. Offenbar behagte ihm das blaue Licht nicht, das der abgeschaltete DVD-Player mit seinem Logo in den Raum malte. Von der hellen Glühbirne der Deckenbeleuchtung aus seinem persönlichen Traumland gerissen, kniff Andreas die Augen zusammen. Er unterdrückte den Wunsch, zum Fernseher zu schielen.
„Ich sehe, du hast es dir gemütlich gemacht“, sagte Richard langsam und näherte sich dem Bett. Er nickte in Richtung des Fensters: „Draußen schneit es. Angeblich soll es ein harter Winter werden. Gefällt mir gar nicht.“
Desinteressiert zuckte Andreas die Achseln. Harter Winter, milder Winter. Was kümmerte es ihn? Er musste nicht vor die Tür gehen, fuhr nicht Auto und besuchte keine Schule. Er mochte es, wenn der Garten verschneit war und die Schneeflocken sich an sein Fenster drückten. Es kam selten genug vor, dass Hamburg eine Mütze aus Schnee und Eis trug.
Kurz: Die Witterung interessierte ihn weit weniger als das nervös-verlegene Gesicht seines Vaters.
„Hör mal, mein Sohn, wir müssen etwas miteinander besprechen.“
Die Selbstverständlichkeit, mit der Richard sich auf die Bettkante setzte, missfiel Andreas. Eingeengt zog er die Beine an. Die Situation erschien ihm unwirklich. Sein Vater war kein Mensch, der sich zu seinem Sohn ans Bett setzte, um sich mit ihm zu unterhalten. Er war ein Mann für Gespräche im Arbeitszimmer oder allenfalls im Wohnzimmer mit einem Glas Whisky in der Hand.
„Was gibt es?“
„Du hast in letzter Zeit öfter Besuch, nicht wahr?“
Andreas wurde kalt. Mühsam schob er seine auf ihn einstürzenden Sorgen und Ängste hinter einer Mauer stoischer Gelassenheit, der Fugenkitt bestehend aus Angriffslust: „Was dagegen?“
Sein Vater zog eine Augenbraue hoch, schien eine strenge Bemerkung auf den Lippen zu haben, sagte dann jedoch zu Andreas' großer Überraschung: „Nein, ganz im Gegenteil. Das ist eine gute Sache, denke ich. Gerade jetzt.“
„Wie: gerade jetzt?“
„Kommt dein neuer Kumpel dich auch zwischen den Jahren besuchen?“, überging Richard die Frage.
Andreas, der innerlich darauf baute, Sascha in den nächsten zwei Wochen oft zu sehen, zuckte gespielt gelassen die
Weitere Kostenlose Bücher