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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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zerbrochen war. So wie sein Vater an die Sache heranging – wütend mit einem Küchenschwamm feudelnd -, blieben garantiert Scherben auf der Arbeitsplatte zurück und er wollte nicht, dass die Haushälterin sich schnitt.
    Es ging um seine Mama. Darum, dass ihre schlanke Statur die Grenze zur Zerbrechlichkeit überschritten hatte. Darum, dass ihre geschwollenen Augenlider nervös flatterten und sie bei jedem lauten Geräusch zusammenzuckte. Darum, dass ihre Wangen auf eine Weise eingefallen waren, die kein noch so exklusives, französisches Make-Up kaschieren konnte. Ihre aufgesprungenen, weißen Lippen, der Mangel an Sonnenbräune, die in einem Skigebiet unumgänglich war, hatten Andreas sich die Frage stellen lassen, ob seine Eltern ihn angelogen hatten.
    Waren sie vielleicht gar nicht in St. Moritz gewesen?
    Gestern Abend hatte er eine leere Verpackung Schmerzmittel im Mülleimer im Bad gefunden. Ibuprofen 800. Andreas war wahrlich kein Waisenknabe, was den Verbrauch an Schmerztabletten anging. Aber 800 Milligramm? Und eine leere Packung, die er vorher noch nie im Wandschrank mit den Medikamenten gesehen hatte?
    „Papa ... du würdest es mir sagen, wenn sie ernsthaft krank wäre, oder?“, hörte Andreas sich mit dünner Stimme fragen. Er fürchtete sich vor der Antwort.
    Die Art, mit der Richard zu ihm herumfuhr, machte Andreas noch mehr Angst. Der lange, fast abschätzende Blick half auch nicht.
    Halb erwartete Andreas, keine Antwort zu erhalten. Er schlang die Arme um seinen Oberkörper, um seinen Körper vor der eindringenden Kälte zu schützen. Leider entstand dieser Frost in seinem Inneren, sodass er sich nicht dagegen zur Wehr setzen konnte.
    Schließlich legte Richard merkwürdig behutsam den Schwamm in die Spüle und trat an den Küchentisch.
    Andreas drohten die Augen aus dem Kopf zu quellen, als sein Vater sich vor ihn hockte und die Hand auf sein Bein legte. Nur mit Mühe konnte er den Impuls unterdrücken, ob der unerwarteten Berührung aufzuspringen.
    „Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich dich in dieser Angelegenheit nicht anlügen würde“, erinnerte Richard ihn eindringlich. „Aber es geht ihr nicht gut und wir müssen alle Rücksicht auf sie nehmen.“
    Andreas konnte nicht sagen, was ihm mehr Sorgen machte: der Gesundheitszustand seiner Mutter oder die vertrauliche Art, mit der sein Vater mit ihm sprach.
    Der Sprung vom knurrenden, fluchenden Hausherrn zum verständnisvoll-freundlichen Papa war zu extrem.
    „Kann man ... denn irgendetwas tun? Also ich?“, fragte Andreas, um sich von dem verwirrenden Verhalten seines Vaters abzulenken.
    „Nun ja, genau weiß ich es auch nicht. Aber vielleicht könntest du versuchen, sie ein wenig zu entlasten. Sie macht sich Sorgen um dich, weißt du? Und wenn sie das Gefühl hat, dass es dir gut geht, würde das sicher helfen. Wenn du zum Unterricht gehst und so weiter. Denn ... weißt du, auf Dauer wäre es wohl hilfreich, wenn sie wüsste, dass du eines Tages in der Firma helfen kannst.“ Angesichts von Andreas entgeisterter Miene machte Richard eine beruhigende Geste. „Nicht heute, nicht morgen. Und schon gar nicht auf die Weise, die du dir vorstellst. Aber vielleicht kannst du nach deinem Abitur anfangen, dich ein wenig mit der Materie zu beschäftigen. Zahlen einsehen. Dich von mir in die Produktpalette einführen lassen.“
    „Und an welcher Stelle hilft das Mama?“
    Richard seufzte nahezu unhörbar: „Sie ist überarbeitet. Und sie macht sich Sorgen um die Zukunft. Schau, dein Großvater mag sich aus der Firma zurückgezogen haben, aber er behält uns im Auge. Und deine Mutter hat das Gefühl, sich ihm beweisen zu müssen. Wir, vielmehr. Wir müssen uns beweisen. Margarete hat sich immer gewünscht, dass du eines Tages an ihrer Seite in die Firma einsteigst und sie entlastest. Aber da es in den letzten Jahren so aussah, als ob ... naja ... du weißt schon.“
    „Und weil ich nicht funktioniere, geht es ihr so schlecht?“, flüsterte Andreas mit einem flauen Gefühl im Magen. Die Wände der Küche schienen mit einem Mal enger zusammen zu rücken, die Luft stickig zu werden.
    „Nein, das habe ich nicht gesagt“, wiegelte sein Vater ab. „Niemand zwingt sie, so viel zu arbeiten. Niemand verlangt von ihr, bis spät in die Nacht mit dem Ausland zu telefonieren. Und was ihre unvernünftiges Essverhalten angeht, hat sie das sicher nicht von uns beiden.“ Für eine Sekunde lächelten Vater und Sohn sich matt an. „Es ist nicht deine

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