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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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von ihm sich wünschte, Margarete und Richard wären nicht aus St. Moritz zurückgekehrt.
    Die letzten Tage mit Sascha an seiner Seite waren zu schön, zu heilsam gewesen, um sich damit abzufinden, nicht mehr allein im Haus zu sein, nicht mehr die Nächte zusammen verbringen zu können. Seltsam, dass sich etwas, das ihm anfangs wie eine Strafe vorgekommen war, zu den besten Ferien seines Lebens gemausert hatte.
    „Ich habe Unterricht?“, bemühte sich Andreas in einem neutralen Tonfall zu erklären.
    Es gelang ihm recht gut, aber es tat dennoch weh. Es tat weh, dass sein Vater nicht einmal wusste, wann die Schule wieder anfing. Schlimmer noch: War es so ungewöhnlich, seinen eigenen Sohn in der Küche beim Frühstück vorzufinden?
    Andreas legte den Löffel in die noch halb volle Müslischale. Irgendwie war ihm der Appetit vergangen. Stattdessen beobachtete er mit einer guten Portion Schadenfreude, wie sich der Blutstropfen am Hals seines Vaters löste und in seinen bis dahin blütenweißen Hemdkragen fiel.
    „Ach richtig“, murmelte Richard von Winterfeld desinteressiert, während er sich mit einer Hand Orangensaft einschenkte und mit der anderen weiterhin an seiner Krawatte zupfte.
    Andreas fragte sich, ob sein Vater schon wieder vergessen hatte, dass er nicht allein im Raum war. Und wo er gerade bei dem Thema war: „Wo ist Mama? Ist sie schon weg?“
    Es klirrte, als die Saftflasche in der Hand seines Vaters gegen das Glas schlug und es zertrümmerte. Klebriger Orangensaft ergoss sich über die Anrichte; angereichert mit winzigen Scherben, die geradezu danach bettelten, sich daran die Finger aufzuschneiden.  
    „Scheiße“, fluchte Richard ungehalten und schubste die Flasche heftig von sich, sodass sie auf den Fliesenspiegel zu schlingerte und ihrerseits zu zerbrechen drohte: „Kann man hier nicht mal in Ruhe ...“ Er bremste sich, fuhr zu Andreas herum, bevor er betont beherrscht sagte: „Deine Mutter hatte ganz früh einen Termin beim Arzt und fährt von dort aus in die Firma.“
    Instinktiv machte Andreas sich klein, als ihn der gereizte Blick seines Vaters traf. Zeitgleich bildete sich der mittlerweile vertraute Klumpen in seinem Hals, der jedes Mal an Größe gewann, sobald das Gespräch auf seine Mutter kam.
    Egal, ob er zwischenzeitlich egoistisch gewünscht hatte, seine Eltern würden noch eine Weile in der Schweiz bleiben, Sascha und ihn in Frieden lassen, machte ihm der Gesundheitszustand seiner Mutter inzwischen Angst. Sie hatte nicht gut ausgesehen, als sie heimkam. Blass, schmal und klein. Abwesend.
    Andreas hatte sich im Stillen gedacht, dass sie noch schlechter aussah als vorher. Als er das Gespräch mit ihr suchte, sie fragte, wie der Urlaub gewesen war, hatte sie durch ihn hindurchgesehen und ihm minutenlang keine Antwort gegeben.
    Bis sie schließlich wisperte: „Schön.“
    Dann war sie aufgestanden und gegangen. Wortlos.
    Keiner hatte Andreas gefragt, ob er gut über die Feiertage gekommen war. Niemand hatte ihm ein gutes, neues Jahr gewünscht oder ihn aufgemuntert. Und Andreas seinerseits hatte seinen Eltern nicht erzählt, dass er in der Silvesternacht draußen gewesen war und es genossen hatte.
    Die unsichtbaren Schwingen, die ihm dieser Erfolg verschafft hatte, färbten sich seit der Rückkehr seiner Eltern schwarz. Es war wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis ihm die ersten Federn ausfielen.
    Aber darum ging es nicht. Nicht jetzt, nicht hier.
    Wütend rief Andreas sich innerlich zur Ordnung. Es ging nicht darum, dass er etwas geschafft hatte, das für jeden Normalsterblichen selbstverständlich war. Es ging auch nicht darum, ob er Sascha nachts vermisste und sich nach ihm sehnte, ihn um sich brauchte. Es ging nicht einmal um die guten Vorsätze, die er für das neue Jahr gefasst hatte – um den, den er seinem Freund zugesagt hatte und um die, die er nicht laut ausgesprochen hatte.
    Andreas hatte entschieden, dass sich im neuen Jahr alles ändern sollte. Langsam, vernünftig, in winzigen Schritten, aber mit Hartnäckigkeit und seinem frisch erwachten Kämpferherz. Wer sich auf einmal in der gesamten Villa wohlfühlen konnte, wer morgens ohne Schwierigkeiten in der Küche frühstücken konnte, der konnte nach und nach auch die restliche Welt zurückerobern.
    Angewidert von sich selbst stopfte Andreas diese Gedanken wieder in den Hinterkopf, während er dabei zusah, wie sein Vater grob die Anrichte abwischte. Innerlich notierte er sich, Ivana Bescheid zu geben, dass ein Glas

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