Leben im Käfig (German Edition)
Immerhin gab es einen Vorsatz, an den er sich zu halten gedachte und es konnte nicht angehen, dass ...
„Herr Suhrkamp, sind Sie noch bei uns oder sabbern Sie bereits auf Ihren Tisch?“
Die scharfe Stimme seiner Deutschlehrerin Frau Becker riss Sascha aus seinen Überlegungen.
Ruckartig setzte er sich auf: „Bin ganz Ohr.“
„Dann seien Sie bitte auch ganz Auge. Ich schätze es nicht, wenn Schüler in meinem Unterricht schlafen“, fauchte sie.
Sascha war versucht, die allseits verhasste Schreckschraube weiter zu provozieren, damit sie ihn aus ihrem Unterricht warf. Aber er verzichtete.
Bis zu einem gewissen Punkt war und blieb er vom Wohlwollen seiner Lehrerin abhängig. Warum verdammt noch mal musste er ausgerechnet Deutsch als Leistungskurs wählen? Warum nicht Physik und Mathematik, wo es nur harte Fakten und kein schwammiges „Ich finde, Sie haben das Thema verfehlt“ gab.
Dumm, sehr dumm.
Aber in seiner alten Schule war er gut in Deutsch gewesen. Wie hätte er wissen sollen, dass er die dreizehnte Klasse an einer anderen Schule absolvieren würde?
Den Ermahnungen Frau Beckers zum Trotz dauerte es keine drei Minuten, bis Sascha sich wieder im Irrgarten seiner Gedanken verlaufen hatte.
Noch zwei Mal fuhr sie ihn an, bevor sich die Doppelstunde ihrem Ende entgegen neigte.
Es war viel angenehmer, sich in seinen Erinnerungen zu verlieren und lächelnd den Gefühlen nachzuspüren, die Andreas' weiche Lippen auf seiner Haut hinterlassen hatten.
Aber es war mehr als Sex.
Es war größer, vollständiger und inniger. Andreas besuchen war gleichbedeutend mit nach Hause gehen.
Mittlerweile erschreckte es Sascha, wie tief seine Gefühle gingen. Manchmal fragte er sich, ob sie nicht zu jung für eine Beziehung dieser Art waren. Aber wenn sie zusammen waren oder wenn er, wie jetzt an seinen Freund dachte, wurde ihm am ganzen Körper warm und er strebte innerlich zu ihm. Unaufhaltsam. Weil Andreas Trost war, wo es sonst nur Chaos gab.
Und da war da auch das, woran er in Bezug auf Andreas nicht gern dachte. An den Moment in der Silvesternacht, in der er ihn verloren hatte. In dem Sascha nicht mehr in der Lage gewesen, ihn zu verstehen. In dem er ... egal.
Nach Ende des Unterrichts schlenderte Sascha wie ein Schlafwandler durch die um die diese Zeit fast leeren Gänge. Ein paar Siebtklässler rannten an ihm vorbei Richtung Turnhalle, in der nachmittags Sport-AGs stattfanden. Zwei ältere Mädchen stritten sich lautstark und zur Belustigung ihres Klassenkameraden vor dem Physikraum und der Hausmeister schleppte ächzend seinen Werkzeugkasten in die Aula.
Auf den Treppen in Richtung Cafeteria lief ihm Erbse über den Weg. Per Handschlag begrüßten sie sich und wünschten sich ein gutes neues Jahr, da sie sich bisher noch nicht gesehen hatten. Die Akne auf Erbses Stirn blühte heftiger denn je.
„Und? Was geht ab?“, fragte Sascha, während er seinen Rucksack auf die andere Schulter wuchtete.
„Nicht viel. Das heißt, am Wochenende steigt bei mir daheim eine kleine Party. Wie sieht es aus? Bist du dabei?“
„Hast du Geburtstag oder so?“
Erbse lächelte verlegen: „Ja, aber das ist nicht so wichtig. Geht eher ums Schneegrillen.“
„Schneegrillen?“, echote Sascha ungläubig. „Ist nicht dein Ernst, oder?“
„Absolut! Gute, alte Tradition sozusagen. Wir stehen zitternd mit der Bierdose im Garten meiner Eltern und kämpfen darum, den Grill am Leben zu halten. Das ist lustig.“ Erbse setzte einen traurigen Hundeblick auf: „Du kommst doch, oder?“
Sascha musste an Silvester denken. Daran, was das letzte Mal passiert war, als er eine Zusage machte, ohne mit Andreas gesprochen zu haben. Andererseits ging es lediglich um einen Freitag oder Samstagabend. Nicht um einen Feiertag.
Erwartete sein Freund von ihm, dass er jede Verabredung ... nein, Blödsinn. Tat er nicht. Das wäre für Sascha auch zu viel des Guten gewesen.
Schade, dass er Andreas nicht einfach mitbringen konnte. Schneegrillen klang witzig.
Außerdem war er seit Monaten auf keiner Party gewesen. Und er vermisste es, musste er zugeben. Sein früheres Leben, in dem er kaum einen Abend daheim verbracht hatte. Etwas in seinem Inneren machte peng. Ja, er wollte die Party mitnehmen.
„Okay, ich muss noch etwas klären, aber zu neunzig Prozent bin ich dabei“, nickte Sascha und freute sich über die Einladung.
Erbse strahlte: „Cool. Bring ein paar CDs mit, ja? Bei mir sieht es da eher schlecht aus.“
Sie verabschiedeten
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