Leben im Käfig (German Edition)
Typus Lehrer legte er mit seinem lockeren Mundwerk meistens eine Bruchlandung hin.
Eine sichtlich überforderte Sekretärin wühlte fünf Minuten auf ihrem Schreibtisch, bevor sie ihm mitteilen konnte, wie sein Stundenplan aussah und wo er sich einzufinden hatte. Ihre Beschreibungen waren so verwirrend, dass Sascha nur das Beste hoffen konnte.
Sicherheitshalber überprüfte er kurz die Angaben auf seinem Zettel. Glücklicherweise bot seine neue Schule dieselben Kurse an wie sein altes Gymnasium. Ansonsten hätte er ein echtes Problem gehabt. Leistungskurs Geschichte und Deutsch, dazu als Grundkurse Englisch und Mathematik. Er hätte lieber noch eines der faulen Fächer wie Sport oder Musik dabei gehabt, aber er war in beidem nicht gut und hätte keinen Vorteil daraus gezogen.
Es schien alles in Ordnung zu sein. Einzig der Stundenplan war ihm zu zerfleddert. Heute hielt sich das Durcheinander in Grenzen, aber an den folgenden Tagen musste er oft früh erscheinen, hatte dann zwischendurch Freistunden und musste später noch einmal ran. Blöd.
Zeitig, wie er glaubte, machte er sich auf den Weg zu seinem Kursraum. Er kam trotzdem zu spät. Zwar befand er sich beim Klingeln im richtigen Stockwerk, aber nicht im richtigen Teil des Gebäudes. Erst, als er durch einen schlauchartigen Tunnel in den gesuchten Trakt kam, fand er den Raum mit der Nummer 245.
Gereizt, weil er gleich am ersten Tag unnötig Aufmerksamkeit auf sich zog, klopfte er an und trat ein.
Eine griesgrämig wirkende Mittvierzigerin und rund fünfundzwanzig Schüler sahen ihm entgegen, als er sagte: „Tag zusammen. Ist das hier der Deutsch-Leistungskurs?“
„Eins oder zwei?“, wollte die Lehrerin kurz angebunden wissen.
„Oh“, Sascha musste noch einmal auf seinen Zettel schauen, „zwei.“
„Dann sind Sie hier richtig. Kommen Sie rein, nehmen Sie Platz und seien Sie beim nächsten Mal gefälligst pünktlich. Neuer Schüler oder nicht, große Auftritte kann ich nicht leiden.“
Am liebsten hätte Sascha ihr eine pampige Antwort gegeben. Diese verflixte Schule war ein Labyrinth und zu seiner Grundausstattung gehörten weder ein Kompass noch ein Navigationsgerät. Er hatte keine Lust auf Lehrer, die bei der ersten Gelegenheit zeigen mussten, wer die Hosen anhatte und dafür jeden Sinn für Gerechtigkeit beiseiteließen.
Schweigend suchte er sich unter den Blicken seiner Mitschüler einen Platz ganz hinten; möglichst weit weg von der verbiesterten Schreckschraube. Ein paar seiner Klassenkameraden drehten sich neugierig zu ihm um, lächelten ihm aufmunternd zu – meistens die Mädchen – oder musterten ihn kühl.
„Und? Wer sind Sie?“, wollte die Lehrerin unfreundlich wissen, kaum dass er seinen Rucksack abgesetzt hatte. „Sie können sich wenigstens vorstellen, wenn Sie schon meinen Unterricht stören.“
„Sascha Suhrkamp, und Sie?“, rutschte es ihm heraus, bevor er sich zügeln konnte. Das brachte ihm einige Lacher ein.
Frau Lehrerin schwoll an wie ein Ochsenfrosch und zog es vor, seine Frage nicht zu beantworten. Nein, sie würden vermutlich keine Freunde werden, was dumm war, denn der Sympathiefaktor bei deutschen Aufsätzen ließ sich nicht abstreiten. Vielleicht hatte er gerade seine Abiturnote um 0,2 oder 0,3 Punkte verschlechtert.
„Kleist“, rief die Lehrerin in den Raum; offenbar entschlossen, ihn von nun an zu ignorieren. „ Prinz von Homburg. Wir fangen damit in diesem Jahr an. Es ist gut möglich, dass dieses Drama Teil der Abiturprüfung wird. Also lassen Sie sich gar nicht erst auf Schlampereien ein. Ich hoffe, Sie haben sich das Heft besorgt. Ich möchte nicht erleben, dass Sie ...“
An dieser Stelle zoomte Sascha sich gedanklich aus dem Raum. Zufrieden lehnte er sich zurück. Prinz von Homburg kannte er bereits besser als ihm lieb war. Monatelang hatten sie in seiner alten Schule an diesem Werk gearbeitet und seine alten Hausaufgaben zu dem Thema lagerten noch auf seiner Festplatte. Das fing gut an, sehr gut sogar.
Nach zwei Stunden wurde er von der unangenehmen Lehrerin befreit. Um ihr keine Zeit zu geben, ihn anzusprechen, warf er eilig seinen Kugelschreiber und den Block, auf dem er abwesend gemalt hatte, in seinen Rucksack.
Zusammen mit den anderen Schülern floh er auf den Gang. Einmal draußen verlangsamte er seinen Schritt und sah sich suchend um. In Gruppen strebten die anderen durch zwei Doppeltüren auf das freie Gelände hinter der Schule. Einige hatten bereits Zigaretten in der Hand und
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