Leben im Käfig (German Edition)
Aber das war vermutlich ein Klischee.
„He, nach einer Maus, wenn ich bitten darf. Und zwar nach einer fiesen, zynischen, degenerierten, perfektionistischen Labormaus, die eines fernen Tages bestimmt die Weltherrschaft an sich reißen wird!“, skandierte Brain mit weit ausgebreiteten Armen. „Und das ist immer noch ein besserer Name als Maximilian.“ Das letzte Wort sprach er aus, als wäre es zu sauer, um ohne Grimasse seine Zunge zu passieren.
„Dann bleiben wir bei Brain“, stimmte Sascha zu und ließ sich über eine letzte Treppe in die Eingeweide der Schule führen, in denen der Chemieraum auf sie wartete.
Vielleicht war diese Schule doch nicht so übel, wie sie am ersten Tag ausgesehen hatte. Zumindest konnte er nicht behaupten, dass ihn jemand aufgrund des Vorfalls vom Vortag komisch angesehen hätte. Glaubte er zumindest. Eigentlich war es hier nicht so viel anders als daheim.
Andere Leute, andere Cliquen, andere Lehrer, ja. Aber letztendlich gab es überall Idioten. Das war in Hamburg nicht anders als in anderen Gegenden.
Es war erst sein zweiter Tag und er hatte schon mehr Leute kennengelernt, als er verdauen konnte. Was wollte er mehr?
* * *
Sie sah schlecht aus. Gestresst. Müde. Überfordert. Aber was war daran neu? Abgesehen davon bemerkte Andreas es nur mit einem halben Auge, denn eigentlich war er mit den Gedanken woanders.
Er ärgerte sich. Er bestellte immer dieselben Jeans vom gleichen Hersteller. Seit bestimmt vier Jahren. Meistens in Schwarz, selten in Blau oder Grau. Sie passten immer. Dieses Mal nicht.
Kritisch sah er auf seine nackten Füße und den abschließenden Saum der Hose. Gewachsen war er nicht mehr. Die Länge war gut. Aber oben drohte die Jeans von seinen Hüften zu rutschen. Das konnte doch nicht wahr sein.
Neue Jeans mussten an der Haut kleben, als wären sie damit verwachsen. Wie sollte das erst aussehen, wenn der Stoff sich gesetzt hatte? Da konnte er gleich einen Müllsack anziehen und mit einem Gürtel festbinden.
„Du isst schlecht“, drang die müde Stimme seiner Mutter an sein Ohr. „Du musst besser auf dich aufpassen, Schatz.“
„Ja ach!“, grummelte Andreas ungehalten und warf ihr einen finsteren Blick zu. Er mochte es nicht, dass sie auf seinem Bett saß und ihn beobachtete. Die leidende Miene, die sie zur Schau trug, machte es ihm schwer, böse mit ihr zu sein. Und gerade das ärgerte ihn über alle Maße.
Sie wollte unbedingt mit ihm reden, er hatte Nein gesagt, sie hatte darauf bestanden. Warum? Sie wussten beide, wohin diese peinlichen Unterhaltungen führten, die sie beide nicht mochten. Nirgendwohin. Sie hatten sich schon lange nichts mehr zu sagen. Außerdem stank es nach Doppelmoral, wenn ausgerechnet seine Mutter ihn in Sachen Ernährung belehren wollte.
An den Kopf werfen mochte er ihr diese Überlegung allerdings nicht. Manchmal kam es ihm vor, als drohe sie an solchen Wahrheiten zu zerbrechen wie eine Tasse aus Eierschalen-Porzellan. So sagte er lediglich um einen neutralen Tonfall bemüht: “Ich habe in letzter Zeit viel trainiert.“
Das war nicht die ganze Wahrheit. Ja, er hatte öfter als sonst Unruhe verspürt und den Weg in den Fitnessraum gesucht. Er hatte hart gearbeitet, und wenn er nicht irrte, hatte das seinem Oberkörper gut getan. Vor allen Dingen aber war er oft zu aufgeregt gewesen, um zu essen. Dass vor einigen Tagen auch noch für 24 Stunden entzündetes Zahnfleisch dazu gekommen war, hatte nicht geholfen.
„Mach dir keinen Kopf, Mama. Dann gibt es diese Woche eben mal wieder einen Pizza-Marathon“, lenkte er ein, während er in den Spiegel sah. Er musste dringend ein paar Kilo zunehmen. Da hatte sie definitiv recht.
„Ob das nun die beste Ernährung ist ...“, warf sie leise ein.
„Nein, aber es ist fettig und ich verspreche dir, jeden Tag andere Zutaten zu nehmen. Vielleicht ist sogar manchmal Gemüse dabei.“
„Ach, Andreas ...“, seufzte seine Mutter, ließ jedoch schnell von dem Thema ab. Hätte sie ihn ein bisschen besser gekannt, hätte sie gewusst, dass er amerikanische Pizzen, die sich vor verschiedenen Belägen geradezu bogen, liebte. Und natürlich war immer Gemüse dabei. „Ist genug Geld im Haus oder soll ich noch etwas von der Bank holen?“
Über die Bargeldbestände bestens informiert schüttelte Andreas den Kopf: „Es ist genug da, um für einen ganzen Monat Kaviar und Hummer zu bestellen.“ Er ging zu seinem Schreibtisch und lehnte sich gegen den Ledersessel: „Aber jetzt
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