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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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zu.
    Zustimmen mochte Sascha dem lebenslustigen Punk nicht. Eigentlich war Brain kein brutaler Mensch. Dafür war er zu intelligent. Aber anscheinend gab es in gewissen Kreisen eine offizielle Kriegserklärung zwischen St-Pauli- und HSV-Fans, die auch die klügsten Gemüter beeinflusste.
    Der Sinn wollte sich Sascha nicht erschließen. Dafür interessierte ihn Fußball zu wenig. Über das Ansehen der Weltmeisterschaft alle vier Jahre kam er selten hinaus.
    Sport interessierte ihn allgemein nicht. Sowohl der, der einen selbst zum Schwitzen brachte, als auch der, den andere Leute ausübten, während man vor dem Fernseher saß und Chips vernichtete. Schwimmen gehen, gerne. Radfahren, wenn es nötig war. Volleyball spielen, wenn der Strand trocken war. Mit Freunden bowlen gehen, okay.
    Aber in der Fitness-Bude Gewichte stemmen, herrenlos durch die Siedlung hecheln oder sich beim Fuß-, Basket- oder Handball die Knochen polieren? Nein danke.
    „Wie sieht es aus? Wir gehen zu Burger King und treffen uns hinterher mit den Mädels in der Stadt. Kommst du mit?“, wollte Brain wissen.
    „Bin verabredet“, schüttelte Sascha den Kopf. „Außerdem kenne ich euch. Erst sind wir bei BK, dann in der Stadt und hinterher versacken wir in irgendeiner Bar.“
    „Und das wäre warum genau schlimm?“, grinste Erbse breit. In diesen Tagen leuchtete seine Akne wie eine rote Ampel.
    „Weil ich morgen früh meine Fahrprüfung habe und nicht zum dritten Mal durchfallen will.“
    „Okay, das ist ein Argument“, gab Brain zu und zupfte an den Sicherheitsnadeln an seiner Lederjacke. „Verabredet, ja? Ein Date? Ist er nett, heiß, gut aussehend, egal in welcher Reihenfolge?“
    Sascha verharrte kurz in seinem Schritt. Nicht lange genug, um den Anschluss zu verlieren, aber doch so lange, dass es auffiel. Seine Homosexualität war bisher nie Thema gewesen. Zumindest hatte ihn niemand darauf angesprochen. Er hatte fast geglaubt, dass niemand seine Bemerkung am ersten Tag richtig interpretiert hatte. Dass er jetzt offen damit konfrontiert wurde, hatte er nicht erwartet.
    Brain, der sein Zögern bemerkt hatte, drehte sich im Gehen zur Seite: „Was'n? Du guckst wie 'ne Kuh, wenn's donnert. Dachtest du echt, wir haben ein Problem damit? Gerade ich? Hallo? Glaubst du, mein ganzes Gerede von Menschenrechten, Völkerverständigung und Gleichheit bezieht sich nur auf Frauen und Farbige oder was?“
    „Nein, mir war nur nicht klar ... egal“, fand Sascha seine Fassung wieder. „Aber nein, kein Date. Mein bester Freund.“
    „Nicht egal“, bekräftigte Brain. „Passt so. Mein großer Bruder ist auch schwul. Und nein, ich stelle ihn dir nicht vor, weil er leider ein Arschloch ist. Das wäre praktisch seelische Grausamkeit.“
    Was sollte er dazu noch sagen? Prüfend schielte Sascha in Richtung Erbse, der lediglich scheu nickte.
    Sie verabschiedeten sich an der Bushaltestelle per Handschlag. Sascha war erleichtert und konnte nicht einmal sagen, warum. Er hatte keine Angst gehabt, dass sie ihn ablehnen würden.
    Fast nicht. Meistens nicht. Oder?
    Diese Erfahrung hatte mit seiner eigenen Generation bisher fast nie machen müssen. Ältere Leute waren ein anderes Thema. Und trotzdem war er erleichtert. Irgendwann würde er andere Erfahrungen machte. Er gab sich da keinen Illusionen hin. Aber er war froh, dass es nicht jetzt und hier passierte.
    Auf der kurzen Fahrt hörte er Musik. Als er das letzte Stück von der Haltestelle zu ihrer Straße lief, überlegte er, ob er zuerst zu Tanja gehen sollte, um seine Schulsachen abzulegen.
    Er entschied sich dagegen.
    Zum einen juckte es ihn, endlich mit dem Playstation-Marathon anzufangen, für den sie sich verabredet hatten. Zum anderen hatte er in den letzten Wochen eine Art latenten Sog entwickelt. Er genoss es, wenn Andreas sich über seinen Besuch freute. Er vermittelte Sascha das Gefühl, nicht nur willkommen zu sein, sondern etwas Gutes zu tun. Jemandem eine Freude zu machen. Nützlich zu sein.
    Von außen betrachtet – solche Gedanken ließ Sascha selbst nie zu – war es auf eine traurige Weise wie bei einem jungen Hund, der sich vor Freude fast umbrachte, wenn sein Herrchen nach Hause kam.
    Egal, wie lange er fort gewesen war. Egal, ob man ihn vorher geschlagen hatte. Egal, ob man vergessen hatte, ihn zu füttern.
    Ivana ließ ihn herein. Sascha wusste nicht, wie er die Haushälterin einzuschätzen hatte. Sie sprach nicht viel, aber ihre Blicke waren intensiv und folgten ihm oftmals bis nach

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