Leben im Käfig (German Edition)
man ihm an der Nasenspitze ansehen konnte, was in ihm vorging. Er blinzelte langsam den Nebel vor seinem Verstand beiseite, starrte den Freund an. Musterte ihn. Wusste nicht, was er tun oder sagen sollte, um sich nicht zu verraten.
Schließlich murmelte er: „Gar nichts.“ Keine gute Antwort, wie ihm bewusst wurde. Schnell fügte er hinzu: „Ich ... ich habe gerade einen Anruf bekommen. Ich muss nach drüben.“
„Stimmt irgendetwas nicht? Mit deiner Tante oder den Kids?“ Zum Glück war Andreas zu enttäuscht, um zu merken, dass Sascha sich lediglich eine Ausrede zusammenspann.
„Nein, ja“, stammelte er. „Nichts Schlimmes. Ich melde mich morgen bei dir. Wie es gelaufen ist und so.“
„Klar, mach das.“
Schau nicht so enttäuscht. Es ist besser so, dachte Sascha flehentlich.
„Sorry, echt“, sagte er laut.
„Kein Thema“, zuckte Andreas die Achseln. Nicht ganz überzeugt, aber zu stolz, um nachzufragen. Sein Gesichtsausdruck wurde weicher. „Und viel Glück für Morgen. Nicht wieder auf den letzten Metern Unsinn machen, ja?“
„Ich gebe mir Mühe“, lachte Sascha nervös. Er gab Andreas einen Klaps auf den Arm, dann floh er vor der seltsamen Situation.
Die Wolke in seinem Kopf begleitete ihn bis nach Hause. Er ignorierte die Begrüßung von Tanja und nahm kaum wahr, dass Sina ihm von der Treppe aus entgegen sprang. Halbherzig fing er sie auf und stellte sie auf dem Boden ab. Seine Finger strichen durch ihre blonden Haare, bevor er wie ein Schlafwandler nach oben ging.
Sein Weg führte ihn ins Badezimmer. Watte dämpfte jeden klaren Gedanken ab, während er sich auszog und unter die Dusche glitt. Erst das kalte Wasser auf seinen Schultern weckte seine Lebensgeister.
Hastig regulierte er den Hahn, bis ihm warme Kaskaden über den Körper flossen. Er streckte das Gesicht in den Strahl und rieb sich mit beiden Händen über die Augen, die Wangen und schließlich den Hals. Er benutzte kein Duschgel. Er war nicht schmutzig oder verschwitzt. Er brauchte nur ... Ruhe. Zeit zum Nachdenken. Orientierung in einer Situation, die ihn viel stärker beeinflusste, als er sich erklären konnte.
Was war mit ihm los? Andreas spielte für sein Team. Und? Sascha kannte einige schwule Männer und Jungen. Keine Heerscharen, aber immerhin genug.
Meistens merkte er recht schnell, ob jemand seine Vorlieben teilte. In einigen Fällen auf den ersten Blick, manchmal brauchte es ein Gespräch. Dass Andreas und er so lange miteinander zu tun gehabt hatten, ohne dass er es bemerkt hatte, war irritierend, aber kein Weltuntergang.
Vielleicht hatten sie sich deswegen von Anfang an so gut verstanden. Instinkt, Unterbewusstsein, Vibes, was auch immer.
Sascha war schon lange mit sich im Reinen. Sein Umfeld war eine andere Angelegenheit. Doch er für sich persönlich kam gut zurecht. Nichts an seiner Entdeckung war bedrohlich oder schlimm.
Und trotzdem ... trotzdem ... es war der Hammer. Irgendwie. Aber warum? Keine Ahnung. Er war überfragt. Es summte in ihm.
Ein Bild schob sich vor seine geschlossenen Augen.
Andreas. Nach Atem ringend, die Linien seiner Muskeln arbeitend. Schweiß auf seiner Haut. Der Hals fast zu schmal auf den Schultern. Tiefer. Noch mehr Linien, alle mit einem Ziel. Ein dünner Pfad dunklen Haares, feucht, auf den Bund der Shorts zuführend. Shorts, die auf einmal im Weg waren.
Die Hitze in Saschas Körper kam nicht länger allein vom Wasser.
Er riss die Augen auf. Das war falsch. Ganz falsch. So sollte er nicht denken und schon gar nicht fühlen. Solche Gedankenspiele würden kompliziert machen, was bis hierhin entspannt und wunderbar gewesen war. Er musste sich ablenken. Erst einmal in Ruhe duschen, dann weitersehen, wie er mit der Sache umging. Am besten gar nicht.
Niemand musste erfahren, was er wusste. Niemand zwang ihn, Andreas darauf anzusprechen. Gut, es gab einen positiven Aspekt bei der ganzen Sache. Jetzt konnte er sich sicher sein, dass sein Freund nicht negativ auf ein Coming-Out seinerseits reagieren würde. Das war auch nicht schlecht. Sascha lachte in sich hinein, aber es klang heiser und unaufrichtig.
Dummerweise war es unmöglich, nicht an die neue Erkenntnis zu denken. Angeblich sollte es helfen, wenn man sich rosa Elefanten vorstellte, aber bei Sascha funktionierte es nicht. Zwar konnte er jegliche Vorstellung von Andreas' Körper aus seinem Geist verbannen, aber nicht die anderen Überlegungen, die sich ihm hinterrücks näherten.
Er hatte akzeptiert, dass Andreas krank
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