Leben im Käfig (German Edition)
Stück Steak war gerade verzehrt, als Sina nervös auf ihrem Stuhl zu rutschen begann. In einer Geste kindlicher Schüchternheit zog sie sich den Saum ihres T-Shirts über die Nase, kicherte und fragte Sascha mit großen Augen: „Hattest du eine Freundin, da wo du vorher gewohnt hast?“ Sie wurde rot und ließ ahnen, dass sie ihren großen Cousin auf eine unschuldige Weise sehr interessant fand.
Bevor er etwas erwidern konnte, zog Tanja ihrer Tochter das Oberteil wieder an den richtigen Platz und sagte zum ersten Mal an diesem Abend ernst: „Wir haben darüber gesprochen, Sina. Weißt du noch? Stell nicht solche Fragen. Ich weiß genau, auf was das hinausläuft.“
„Oh, warum? Sie kann ruhig fragen“, schaltete Sascha sich ein und erklärte nicht ahnend, worauf das Mädchen anspielte: „Nein, ich hatte keine Freundin.“
„Aber vielleicht einen Freund?“, quietschte Fabian aufgeregt, riss sich aber sofort zusammen, als seine Schwester gackernd unter dem Tisch verschwand. So albern wie die Kleine wollte er sich nicht geben.
„Was habe ich dir gesagt?“, stöhnte Tanja und warf ihrem Nachwuchs einen strafenden Blick zu, bevor sie Sascha entschuldigend ansah: „Ich hoffe, du bist nicht böse. Ich habe mit den beiden darüber gesprochen. Dann gibt es keine Zusammenstöße und ich möchte nicht, dass sie das dumme Schulhofgequatsche über Schwule aufschnappen. Mir ist ein reiner Tisch lieber. Schließlich möchtest du vielleicht bald mal jemanden hierher mitbringen.“
„Das ist ...“, begann Sascha überrascht, „... ehm ... ja, klar. Das ist okay. Ich schäme mich nicht dafür.“
„Das ist auch gut so. Aber wenn ich mir dein Gesicht so anschaue, hast du mit etwas anderem gerechnet, stimmt's?“ Sascha wand sich ein wenig und sie fügte hinzu: „Schon gut. Ich kenne meine Schwester, ich kenne ihren Mann. Der Himmel weiß, dass ich sie lieb habe, aber in manchen Dingen lebt sie wirklich hinter dem Mond.“
Dankbar nickte er und grinste Sina schief an, als sie wieder auf ihren Stuhl glitt. Sie lächelte zurück und entblößte die Lücken, in denen ihre Schneidezähne fehlten. Eine Sache interessierte Sascha an Tanjas kleiner Rede besonders und so fragte er: „Habe ich das richtig verstanden? Ich kann jemanden mitbringen? Du hast nichts dagegen?“
Die Musikerin zuckte die Achseln: „Sicher. Wenn du der ältere Bruder der beiden wärst, wäre es doch auch nicht anders. Ich appelliere einfach an deinen gesunden Menschenverstand, dass du keine Orgien feierst.“
„Was ist eine Orgie?“, wollte Fabian sofort wissen. „Ist das cool? Können wir zu meinem nächsten Geburtstag sowas machen?“
Die Erwachsenen lachten. Sascha lehnte sich feixend zurück und wartete darauf, wie seine Tante ihrem Sprössling erklärte, warum es auf seiner nächsten Party sicher keine Orgie geben würde.
Über das gute Essen und die lockere Unterhaltung wurde es spät und später. Durch den langen Sommerabend raste die Zeit nur so dahin.
Erst als Sina mühsam versuchte, ihr Gähnen zu verbergen, sah Tanja erschrocken auf die Uhr und stellte fest, dass ihre Jüngste längst ins Bett gehörte. Natürlich gab es trotz aller Müdigkeit großen Protest.
„Spielst du mit mir?“, wollte Fabian wissen, als die beiden Frauen verschwunden waren. Vermutlich wusste er genau, dass er der Nächste war, der in die Falle zu wandern hatte, und wollte die Zeit mit seinem neuen Kumpel ausnutzen.
Wirklich Lust hatte Sascha nicht. Er wurde allmählich müde und brauchte ein bisschen Zeit für sich selbst zum Runterkommen. Aber er wollte seinem Cousin nicht gleich am ersten Abend etwas abschlagen. Es schadete sicher nichts, sich gut mit den Kindern zu stellen. Immerhin würden sie mindestens ein Jahr lang zusammen unter einem Dach leben.
„Okay“, gab er sich geschlagen. „Was möchtest du denn spielen?“
„Baseball“, erwiderte Fabian wie aus der Pistole geschossen. „Ich hole meinen Schläger und den Handschuh.“
Sascha nickte und schlenderte von der Terrasse auf das Gras. Die Grünfläche glich eher einer Waldwiese als einem gepflegten Englischen Rasen. Überall schossen Gänseblümchen, Butterblumen und Unkraut aus dem Erdboden. Ineinander verwachsene Johannisbeersträucher bogen sich unter dem Gewicht ihrer Früchte. Akribisch angelegte Beete gab es nicht, dafür aber eine Menge Spielzeug, das als Stolperfalle verborgen im knöchelhohen Gras lauerte. Ein Sandkasten und eine Schaukel rundeten den Eindruck ab, dass der
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