Leben im Käfig (German Edition)
schon wieder Montag.
Als Sascha eine halbe Stunde später schlecht gelaunt, aber wenigstens frisch geduscht später das Badezimmer verließ, kam ihm Aiden auf dem Flur entgegen.
Der Amerikaner trug seinen krakeelenden Sohn auf dem Rücken huckepack und lächelte Sascha amüsiert zu: „Hangover?
„Ganz gewaltig.“
„Dann denke ich, du verzichtest bestimmt lieber auf die Pancakes, die Tanja für dich in das Backofen gestellt hat. Ich sag ihr Bescheid.“
„Danke“, murmelte Sascha und schlich in sein Zimmer.
Dort angekommen warf er dem Stapel Ordner und Bücher auf seinem Schreibtisch einen erbosten Blick zu. So viel zu tun und nur so wenig Zeit. Das Problem war nicht der reguläre Unterrichtsstoff, mit dem sie sich in diesem Schuljahr beschäftigt hatten. Das Problem waren die unterschiedlichen Lehrpläne in Hessen und Hamburg.
In Deutsch kam er durch einen Zufall gut weg, aber in Geschichte hatte er einiges nachzuholen. Und die Unterlagen von Wallraff waren sicher sehr detailliert und umfassend.
Wie sollte er diesen Berg an Arbeit meistern und nebenbei noch schlafen und essen? Von vergnüglicheren Dingen ganz abgesehen?
„Jedenfalls nicht, indem du jammerst“, murmelte Sascha halblaut, bevor er sich mit Todesverachtung an seinen Schreibtisch setzte.
Wenn er jetzt eine Weile angestrengt arbeitete, hatte er heute Abend vielleicht noch genug Zeit, um nach drüben zu gehen.
Automatisch startete er seinen Computer, obwohl er ihn zum Lernen nicht brauchte. Doch er hatte sich daran gewöhnt, mindestens einmal am Tag einen Blick in seine Emails zu werfen, ob sich jemand bei ihm gemeldet hatte.
Als er auf eine tränenfeuchte Mail seiner Schwester stieß, wünschte er sich, er hätte es gelassen.
Stirnrunzelnd überflog er den Inhalt, ärgerte sich, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und raufte sich die Haare.
Gefangen zwischen dem Impuls, die Email zu löschen und zu tun, als habe er sie nie erhalten und dem Drang, in den Zug nach Hessen zu steigen und seiner Mutter zu sagen, dass sie ihre Enttäuschung über ihn nicht an Katja auslassen sollte.
Am Ende schrieb er seiner Schwester schnell zurück, gönnte ihr einige tröstende Worte und versprach, sich in den nächsten Tagen ausführlicher zu melden.
Dann machte er sich an die Arbeit.
Eine halbe Stunde später klappte Sascha nervös den Ordner zu, den sein Lehrer ihm zur Verfügung gestellt hatte. In den vergangenen Minuten hatte die Übelkeit wieder zugenommen, wobei sie dieses Mal eher seinem Kopf als seinem Magen zu entspringen schien.
Verdammt. Wie hatte er es so weit kommen lassen können?
Nach den Sommerferien hatte Herr Wallraff ihm den Ordner überlassen. Hatte er sich seitdem die Mühe gegeben, einen Blick hineinzuwerfen? Nein, natürlich nicht. Warum auch? Ein normaler Aktenordner voller Informationen, teilweise mit Grafiken und Fotos versehen. Das hatte er erwartet. So etwas hätte er relativ schnell auswendig lernen können.
Aber nein, damit war es nicht getan. Der Ordner wimmelte von Querverweisen.
„Siehe dazu Themenband XY, Seiten 45 – 99.“
„Dringend empfohlene Lektüre XYZ von A. Müller.“
„In diesem Fall lohnt sich der Vergleich von Werk A und Werk B, die bei der Darstellung der Problematik einen unterschiedlichen Fokus gewählt haben.“
„Mit dem Lehrwerk Z auseinandersetzen. Kapitel 13 – 26. Bietet einen besseren Überblick als Lehrwerk XY, das in gewissen Belangen veraltet ist, aber dafür die chronologische Abfolge übersichtlicher darstellt.“
Wallraff übertrieb. Er war ein Fanatiker, was seinen Unterrichtsstoff anging. Und Sascha war ein Idiot, weil er davon ausgegangen war, dass es mit ein paar Nachmittagen harter Arbeit getan sein würde. Dass sein Lehrer ihm den Stoff vorkauen würde und er ihn nur auswendig zu lernen brauchte. Von wegen. Hier verbarg sich eine Menge Arbeit und das berühmte Konzept „Mut zur Lücke“ hatte ihm noch nie geschmeckt.
Hektisch blätterte Sascha durch die Seiten. Der Geruch des Druckerpapiers wehte ihm in die Nase. Obwohl er diesen Duft normalerweise schätzte, fühlte er sich heute an die Schwefeldämpfe der Hölle erinnert.
Er hatte ein Problem. Denn nicht nur in Geschichte hatte er die Zügel schleifen lassen, sondern in den anderen Fächern auch. Und bis zum Abitur war es nicht mehr lange hin. Nachdenklich kaute Sascha an seinem Daumennagel; eine Angewohnheit, die er sich vor langer Zeit abgewöhnt hatte, die unter Druck jedoch manchmal wieder zum
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