Leben im Käfig (German Edition)
Vorschein kam.
Er brauchte einen Schlachtplan. Am leichtesten erschien es ihm, den Kopf in den Sand zu stecken und damit zu leben, dass er mit mäßigen Noten durchs Abitur rutschte. Seine vorherigen Kursnoten waren gut genug, um einiges abzufedern. Aber das war keine Option, wie er bereits zu Beginn des Wochenendes festgestellt hatte.
Zu viele Komplikationen, zu viele „Wir wussten ja von Anfang an, dass es keine gute Idee war, dich nach Hamburg zu schicken“-Diskussionen, die drohend am Horizont lauerten.
Nein, er musste etwas tun. Sich in die Arbeit hineinknien. Sich für ein paar Wochen auf nichts anderes konzentrieren. Hinterher konnte er sich wieder mit anderen, angenehmeren Dingen beschäftigen.
Ein ungutes Gefühl stach Sascha in die Brust, als er sich fragte, wie Andreas auf diesen Plan reagieren würde. Denn sein Freund war leider der Faktor, an dem er am meisten Abstriche machen musste.
Mist. Mistmistmistmist.
Allein bei der Vorstellung fühlte sich Sascha unbehaglich. Aber Andreas würde es verstehen. Er musste es verstehen.
Der Gedanke, das notwendige Gespräch vor sich herzuschieben, war verführerisch. Doch das entsprach nicht Saschas Wesen. Kurz und schmerzhaft war ihm lieber, als lange um den heißen Brei zu reden.
Seine Hand wanderte bereits zu seinem Telefon, als er sich an den Vorfall aus der Nacht zuvor erinnerte. Nein, besser nicht anrufen. Besser, er kontaktierte Andreas über das Internet. Wer konnte schon sagen, was da drüben schon wieder los war?
Gott, wie sehr nervte es ihn, dass bei den von Winterfelds in letzter Zeit immer Durcheinander herrschte. Was war nur aus seiner sicheren Festung geworden?
Eilig erweckte Sascha seinen Messenger zum Leben und wurde schneller begrüßt, als ihm lieb war.
„Hey, da bist du ja. Was macht dein Kopf? Lust, deinen Kater bei mir auszukurieren? Wir haben noch Matjes im Kühlschrank. Und ich helfe dir gerne beim Entspannen.“
Spontan wollte Sascha seine guten Vorsätze über den Haufen werfen. Ein Katerfrühstück von Andreas, anschließend Entspannung und hinterher in seinem Bett schlafen, bis der Abend kam. Das musste das Paradies auf Erden sein. Stattdessen musste er seinem Freund klar machen, dass er in Zukunft nur wenig Zeit für ihn haben würde.
„Ich kann nicht“, schrieb er seufzend zurück. „Und ich muss dir was sagen. Ich habe Mist gebaut.“
„Mist?“ Oder viel mehr „Msit“, da Andreas hektisch die Buchstaben verdreht hatte.
„Hab mir gerade mal angesehen, was ich bis zum Abi noch alles zu tun habe. Und das sieht verdammt beschissen aus. Ich muss lernen, Andreas. Dringend.“
„Ach, solchen Mist meinst du. Das bekommen wir hin. Ich helfe dir beim Büffeln. Ist doch Ehrensache.“
Sascha lächelte matt. Leider konnte Andreas ihm in diesem Stadium der Abiturvorbereitungen nicht helfen. Später konnte er ihn abfragen, aber für den Moment musste er sich das verlangte Wissen erst einmal auf die innere Festplatte kopieren, bevor er daran denken konnte, sich mit Andreas zusammen an die Vertiefung zu machen. Falls er das denn überhaupt wollte ...
Am Ende lief es ja doch darauf hinaus, dass sie sich mit Andreas' Situation auseinandersetzen mussten. Mit seiner Krankheit. Und zusätzlich zu Katja und seinen Eltern und Tanja und Schule und Abi und der Tatsache, dass er in letzter Zeit zum Stubenhocker mutiert war, hatte er darauf keinen B ...
Gott, er war ein Arschloch. Natürlich wollte er Andreas sehen, mit ihm zusammen sein. Aber halt ohne den verfluchten Ballast, der auf ihnen allen lastete.
„Das ist super. Nur bringt es nicht viel. Ich muss erst einmal allein arbeiten.“ Saschas Finger verharrten über den mattschwarzen Tasten, bevor er schrieb: „Wir werden uns in Zukunft weniger sehen können. Ich muss das einfach anständig über die Bühne bringen.“
Lange Zeit erhielt er keine Antwort. Sascha runzelte die Stirn, als unerwartet über seinen Bildschirm huschte: „Wir sind doch okay, oder?“
„Ich wünschte, ich hätte Zeit, dir lange und ausgiebig zu zeigen, wie okay“, schrieb er seinem Instinkt folgend zurück. „Aber jetzt muss ich was tun. Ich melde mich bei dir, ja?“
Nach Ende des Gesprächs atmete Sascha tief durch und fixierte wütend den vor ihm liegenden Ordner. Er fühlte sich eigenartig erleichtert. Und das verschaffte ihm wiederum ein finster-schwarzes Gewissen. Er wusste nicht, wieso er das Gefühl hatte, sich von einer Last befreit zu haben, und schob jede Frage daran
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