Leben im Käfig (German Edition)
Telefon doch vor dir gehört.“
Unsicher öffnete Andreas den Mund und schloss ihn wieder, als ihm bewusst wurde, dass er nicht wusste, was er sagen wollte. Innerlich und äußerlich frierend schlang er die Arme um seine nackte Brust und beobachtete nervös, wie sein Vater unruhig um den Tisch zu laufen begann.
„Ich weiß einfach nicht, was mit ihr los ist“, brach es plötzlich aus ihm hervor. „Ja, wir haben viel zu tun. Und ich habe ihr oft gesagt, dass sie sich mehr Freizeit gönnen soll. Dann immer dieses Gepicke im Essen. Kein Wunder, dass sie keine Energie hat. Und egal, welcher Arzt ihr sagt, dass sie besser auf sich achtgeben muss, sie hört einfach nicht. Dabei hat sie die Ergebnisse schwarz auf weiß.“
„Was für Ergebnisse?“, fragte Andreas die Gänsehaut auf seinem Rücken ignorierend.
Von der einen Sekunde zur nächsten wurden ihm die Knie weich. Er konnte nichts dagegen unternehmen. Sein Herz sprang in den „Vogel Strauß“-Modus und sein Körper reagierte ungefragt.
„Was?“ Sein Vater blieb kurz stehen und sah ihn, als würde er sich Andreas' Anwesenheit zum ersten Mal bewusst. Dann schüttelte er den Kopf: „Du weißt schon. Untersuchungen eben. Blut und Ernährungsgeschichten. Und es mangelt ihr einfach an allem. Zinkmangel, Eisenmangel, Calciummangel. Davon, dass sie keine Fettreserven hat, will ich erst gar nicht reden.
Meine Güte, die Ärzte dachten, ihr fehle sonst etwas. Aber abgesehen von ihrem beleidigten Magen ist sie kerngesund. Sie kann nur nicht mehr. Sie soll sich ausruhen. Aber was macht sie? Rennt durch die Firma, beschuldigt die Leute, Druckerpapier geklaut zu haben und wirft mit ihrem Terminkalender.
Und wenn man ihr sagt, dass sie sich auf ihre vier Buchstaben setzen soll, wird sie zur Furie. Wenn ich nur wüsste, warum sie sich weigert, sich ein paar Wochen Auszeit zu nehmen! Sie glaubt doch nicht wirklich, dass wir ihr die Firma abspenstig machen wollen, oder?“
Richard warf seinem Sohn einen hilflosen Blick, als erhoffe er sich von Andreas eine Antwort auf seinen Fragen. Aber es gab keine Antworten, keine Erklärungen, nur Chaos.
„Ja, und nun ist sie weg?“, fragte Andreas vorsichtig.
Ein Gefühl wachsender Fremdartigkeit ergriff von ihm Besitz. Als wäre er Zuschauer eines Thriller, dessen Ende er nur erahnen konnte.
„Wir haben uns vorhin gestritten“, bestätigte sein Vater düster. „Und dann hat sie sich den Jaguar aus der Garage geholt und ist abgehauen. Frag mich nicht, wohin. Dabei kommt sie mit dem Wagen gar nicht zurecht. Ist sie noch nie ...“
Schluckend würgte Andreas seine aufkeimende Angst zurück in seinen Bauch. Kein Wunder, dass sein Vater besorgt war. Margarete fuhr nur selten selbst Auto und dann in diesem Zustand wachsenden Wahnsinns. Das konnte böse ausgehen. Sehr böse.
„Du solltest ins Bett gehen“, verkündete Richard urplötzlich mit gestrafftem Rücken. Seine Züge versteiften sich zu der undurchdringlichen Maske des Geschäftsmannes. „Wir können nur abwarten. Es macht keinen Sinn, dass du hier herumstehst und dir den Tod holst.“
Zögernd nickte Andreas. Er wollte nicht gehen. Es erschien ihm richtiger, zusammen mit seinem Vater auszuharren, bis sie Nachricht von seiner Mutter erhielten. Doch er spürte, dass Richard allein sein wollte. Ihm selbst wäre es lieber gewesen, im Wohnzimmer zu bleiben, doch er wollte sich nicht aufdrängen. Die Situation war schwierig genug, ohne dass er mit seiner Nervosität zusätzlich Öl ins Feuer gab.
Schlafen gehen wollte er trotzdem nicht. Angespannt setzte er sich an seinen Schreibtisch und versuchte halbherzig, mit einem Spiel die Zeit totzuschlagen. Er fühlte sich allein und in der Einsamkeit lief seine Fantasie zu Hochtouren auf. Hässliche Szenarien von eingedrückten Autokarosserieren und Rettungswagen irrten durch seinen Verstand.
Ganze vier Mal sprang er auf, weil er meinte, in der Ferne ein Martinshorn jaulen zu hören.
Erst, als die Müdigkeit schmerzhafte Konsistenz annahm, kroch Andreas ins Bett und schlief ein.
Nicht viel später drang ein Flüstern in seine Träume. Er glaubte, eine Hand zu spüren, die ihm über die Wange strich. Klebrige Lippen, die seine Stirn kitzelten.
„Mein armer, lieber Sohn“, raunte es nah an seinem Ohr. „Es tut mir so leid ...“
Als Andreas die Augen öffnete, lag sein Zimmer abgesehen von einem Spalt Licht von der Tür noch in Dunkelheit.
„Mama?“, fragte er in das graue Tuch der Nacht hinein.
Mit aufgeregt
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