Leben macht Sinn
Nachbarn, Vorgesetzte hören, um zuerfahren, was sie tun sollten. Sie wissen, was sie tun sollten, statt was sie tun wollen; was sie zu wünschen hätten, statt was sie sich wirklich wünschen. Eine Frage wäre: Was würde mein Leben mit Sinn erfüllen, welche Lebensart würde mir Schwung und Kraft geben? Dieses Leben und die Suche danach wertete auch der Onkologe Lawrence LeShan als die entscheidende Mobilisierung des Immunsystems gegen Krebs und andere lebensbedrohende Krankheiten. Dieser Gedanke, sein Leben aus seinen Stärken heraus zu gestalten, ist für viele heute so fremd, dass sie sich ihm nur allmählich nähern können. Zum Beispiel durch die Frage: Wie kann ich mir selbst heute ein wohlwollender Gefährte sein? Oder indem man einen Tag der Woche zum bestmöglichen Tag macht, der nur einem selbst gehört. Dies als Erfahrung, wie es sich anfühlt, wenn man sich selbst ernst nimmt.
Wie findet man seine Stärken? Indem man sich wieder an seine Träume und Wünsche erinnert, und den Mut hat zu fragen: Was bringt mich in die Kraft? Stärkt mich dieser Weg oder schwächt er mich? Meist wissen wir die Antwort. Wir spüren intuitiv, instinktiv, »im Bauch«, was unser Weg sein sollte, weil in uns ein Bedürfnis zu wachsen existiert. Sich auf die Seite des Wachstums zu schlagen, könnte auch bedeuten, größere Träume zuzulassen, innere Bilder zu entwickeln, die das zur Landschaft formen, was das Herz zum Brennen bringt. Nur wer innerlich brennt, kann andere entzünden, das wusste schon Augustinus. Man hat nur ein Leben zu leben, man muss es nicht für mehrere Leute leben. Seine Stärke findet man, indem man eigensinnig dabei bleibt, was einen wirklich in die Kraft bringt. Es ist schließlich auch das Geheimnis großer Lebenswege, dass Menschen sich dem hingeben, was sie gut können. Weil sie auf ihre Stärken setzen und aus ihrerKraft schöpfen. Und weil sie intensiv leben. Ich denke dabei an eine Frau des 20. Juli 1944, Emmi Bonhoeffer. Sie sagt: »Ich glaube Intensität ist Glück. Ich habe sehr viele Möglichkeiten gehabt, intensiv zu leben.«
Der amerikanische Psychologe Martin Seligman empfahl: »Schreib nieder, was dir gelingt; schreib nieder, was dich beglückt!« Was mache ich wirklich gut? Was liegt mir, wofür habe ich ein Händchen? Wie müsste ein Tag aussehen, den ich als sinnerfüllt erlebe? So könnte man diese Fragen fortsetzen. Sie alle richten ihre Scheinwerfer auf die persönlichen Quellen von Sinn, im Wissen, dass wir unser Bestes nur geben, wenn wir uns mit dem Positiven identifizieren, statt mit dem, was uns schwächt. »Wenn man nur an seine Sünden denkt, wird man ein Sünder«, so las ich bei dem Zen-Philosophen D. T. Suzuki. Wenn man seine Stärken pflegt, zeigt sich das eigene Potential.
»Behandle sie, als würdest du einen kleinen Fisch kochen«
Der Physiker Albert Einstein meinte: »Die besten Dinge sind nicht die, die man für Geld bekommt.« Es stimmt; Geld, Anschaffungen, Karriere machen vielleicht zufrieden, aber zur Frage nach dem Sinn können sie wenig beitragen. Wenn unsere Seele sich so einfach kaufen ließe, gäbe es nicht so viele, die unglücklich über ihr Leben sind und sich als innerlich hohl und unerfüllt erleben. Fragen Sie sich selbst: In wieweit trägt materieller Reichtum zum Sinn meines Lebens bei? Was ist der Preis?
Womöglich kommt jeder einmal an den Punkt, wo sich eine Diskrepanz auftut, zwischen dem, was man investierte und anstrebte, und dem, was man im Innersten wirklich ersehnt. Oft genügt eine schwarze Wolke – die Erosion einer vertrauten Beziehung oder der Knoten in der Brust – und man erlebt, wie der Boden unter den Füßen wegbricht. Als wäre man ins tiefe Wasser gestürzt, verschwimmt plötzlich all das, worauf man gebaut hatte. Man weiß nicht einmal mehr, ob man schwimmen kann, geschweige denn, ob und wie man ein neues Ufer erreicht.
Dank des Eigensinns, dieser Trotzmacht des Geistes – ist es einem aber möglich, sich nicht unterkriegen zulassen, anders werden zu können und sein Leben neu auszurichten und sogar reicher zu gestalten. Dabei hilft vor allem eines: die Pflege unserer Beziehungen. »Im Grunde hilft nur ein anderer Mensch«, so die Devise des Theologen Eugen Drewermann, der ich hinzufügen würde: Eine der schönsten Möglichkeiten Sinn zu stiften, ist die Zuwendung, Beachtung oder Anerkennung, die wir anderen schenken. So viel steht fest: Wer die anderen unwichtig findet, weil er meint, ohne sie besser zum eigenen Sinn
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