Hale 1 Piraten der Liebe
1. Kapitel
Lady Catherine Aldley war schön, und sie wußte es. Es war ihr vollkommen klar, welchen Eindruck sie machen mußte, während sie dort an die Reling der >Anna Greer< gelehnt stand und die untergehende Sonne ihr langes Haar in eine rote Flamme verwandelte. Der kräftige Seewind hatte ihre Wangen gerötet, und ihre Augen strahlten.
Sie war erst siebzehn, und man hatte sie ihr ganzes Leben lang verwöhnt und gehätschelt. Seit dem Tod ihrer Mutter vor zehn Jahren war sie von einer Kinderfrau und einem ganzen Heer von Gouvernanten aufgezogen worden. Die hatten versucht, ihr jene Dinge beizubringen, die für eine Lady im Jahre 1842 wichtig waren: auf der Harfe und dem Pianoforte zu spielen, langweilige Aquarelle anzufertigen, perfekt die französische Sprache zu sprechen und jederzeit hübsch unbesorgt und kindlich zu erscheinen. Gerade das letztere fiel den wirklich guten Ladys bisweilen schwer. Wenn ihr danach war, konnte Cathy die Rolle der sanften, wohlerzogenen Lady perfekt ausfüllen. Ansonsten war sie durchaus sehr streitlustig. Ihre Wutausbrüche hatten mehr als eine Gouvernante dazu veranlaßt, das Haus unter Tränen zu verlassen und es nie wieder zu betreten. Cathy war das immer recht gleichgültig gewesen. Sie hatte keinerlei Ambitionen, irgend etwas zu lernen, was in Büchern stand. Sie wollte das Leben leben und nicht darüber lesen!
»Das Mädchen ist vollkommen ignorant! « schimpfte ihr Vater aufgebracht, und so war es wirklich. Obwohl die verschiedensten Gouvernanten lange und hart daran gearbeitet hatten, die elementaren Dinge einer guten Erziehung in Cathys Kopf zu hämmern, blieb das Mädchen einfach desinteressiert. Als sich herausstellte, daß sie ihre Fähigkeit zu lesen nur auf feurige Romane anwandte, gab es ihr leidgeprüfter Vater schließlich auf. Cathy wurde aus der ermüdenden Tätigkeit des >Erzogenwerdens entlassen.<
Statt dessen lernte sie Tanz und hatte von allen Frauen im Umkreis von Kilometern den leichtesten Schritt. Wenn sie ging, wippten ihre weiten Röcke elegant, und wenn sie unter ihren langen Wimpern hervorlächelte, war sie sehr anziehend. Ihr Lachen klang wie ein helles Silberglöckchen.
Vor allem aber lernte sie, ihre wahre Natur vor den Männern zu verbergen, die sie umschwärmten. In Gesellschaft, und ganz besonders in Anwesenheit passender junger Männer, war ihr Verhalten noch liebenswerter als ihr Gesicht. Ihre scharfe Intelligenz und ihre Jähzornigkeit waren nur ihrer Kinderfrau bekannt. Die warnte ihren Schützling immer wieder davor, diese Fehler zu enthüllen, bevor ein passender Ehemann gefunden war.
Cathys Vater, Sir Thomas Aldley, neunter Earl von Badstoke und Botschafter der englischen Königin in Portugal, liebte sein einziges Kind sehr. Er sah sie jedoch nur recht selten und hatte keine Ahnung davon, wie dickköpfig und eigensinnig seine Tochter wirklich war. Er wußte nur, daß sie schön und charmant war und große Vorteile für seine Stellung einbringen konnte. Unglücklicherweise mußte sie etwas von seinem eigenen wilden Temperament geerbt haben, schien dies aber sehr sorgfältig unter Kontrolle halten zu können. Es war sowieso ganz gut für eine Frau ein wenig Geist zu haben. Im großen und ganzen war sie ein sehr gutes Kind und hatte ihm nur selten Anlaß zur Besorgnis gegeben. Seit ein paar Monaten schien jedoch jeder junge Kerl in ganz Lissabon hinter ihr her zu sein, und eine Heirat mit einem Ausländer würde für seine politische Karriere keinerlei Vorteile mit sich bringen. Also fing Sir Thomas an, mit dem Gedanken zu spielen, seine Tochter zu seiner Schwester nach England zu schicken. Auf diese Weise wäre sie der gefürchteten Gefahr entzogen. Er selbst konnte im darauffolgenden Jahr nachkommen, wenn seine Arbeit als Botschafter beendet war. Er war voller Vertrauen, daß Cathy in der Zwischenzeit so von Londons Ball-Saison gefangengenommen sein würde, daß sie ihre portugiesischen Schönlinge bald vergessen haben würde. Außerdem konnte er darauf zählen, daß seine Schwester alle neuen Freunde von Cathy gründlich begutachten würde. Ja, es war das beste, Cathy nach England zu schicken!
Cathy selbst hatte geschrieen und getobt, als sie von diesem Plan hörte. Aber wenn ihr Vater erst mal einen Beschluß gefaßt hatte, konnte er genauso stur wie seine Tochter sein. Zuletzt konnte er sie schließlich zusammen mit der Kinderfrau von der Weisheit dieses Vorhabens überzeugen. Sie freute sich wohl darauf, der Königin Victoria
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