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Leben macht Sinn

Leben macht Sinn

Titel: Leben macht Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irmtraud Tarr
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ist mit den sogenannten Schicksalsschlägen, die von einer Minute auf die andere den Sinn unseres Lebens in Frage stellen? Haben wir sie in der Hand? Schon allein das Wort beinhaltet einen Widerspruch. Einen Schlag hat man nicht in der Hand, sondern er passiert einfach. Er widerfährt uns, weil wir vom Gesetz des Lebens ebenso betroffen sind wie die Pflanzen und die Tiere. Und zu den Bedingtheiten des Lebens gehört nun einmal, dass alles, was lebt, begrenzt, verletzbar und vergänglich ist. Nur wer diesen Gedanken nicht aushält, flüchtet sich in den Glauben, wir könnten alles selbst lenken und beeinflussen, wenn wir es nur richtig anstellen.
    Schicksalsschläge werden von den meisten als etwas erlebt, das von außen kommt, meistens ganz plötzlich und ohne Vorankündigung. Wie ein anonymer Brief, derplötzlich im Briefkasten liegt – ohne Absender. Schicksalsschläge greifen in unser Leben ein, ob wir es wollen oder nicht, und geben ihm eine andere Wendung. Man führt sie nicht bewusst selbst herbei, sondern sie widerfahren einem. Jeder schwere Schicksalsschlag ist etwas, dass das eigene Ich, den eigenen Lebenssinn, die eigene Lebensnische mit einem Schlag zerschmettert und einen getroffen, überwältigt oder verwundet zurücklässt.
    Was ist das Spezifische eines Schlages? Ein Schlag ist meistens ganz kurz, aber er ist überraschend und erschreckt uns. Wenn wir den Aussagen moderner Wissenschaftler glauben dürfen, dann begann die Welt, in der wir leben, mit einem großen Schlag, dem Urknall. »Ein Schicksalsschlag trifft uns«, sagen wir. Oft fängt etwas Neues mit einem Schlag an, oder etwas Gewohntes endet mit einem unerwarteten Schlag. Man denke nur an den berühmten Paukenschlag, mit dem etwas Neues beginnt. Am meisten aber fürchten wir die Schläge, die uns das Leben austeilt.
    Wir schlagen um uns in tiefster Verzweiflung und wollen Unliebsames, Unangenehmes mit einem Schlag beendet wissen. Es gibt Schläge, die zum Tod führen: der Schlaganfall, der Hirnschlag, der Herzschlag. Mit einem Schlag kann unser Leben beendet sein. In einem Blitzschlag konzentrieren sich viele tausend Volt Spannung, die Bäume, Häuser und Leben auslöschen.
    Aber auch die zündende Idee oder die Liebe auf den ersten Blick kommen mit einem Schlag. Und so manche Schlagzeile rüttelt uns auf. Manche Schläge wiederholen sich. Der Pulsschlag zeigt an, dass wir noch leben. Und in der Musik kann ein Schlag eine neue Qualität gewinnen, wenn er wiederholt wird und sich zum Rhythmus oder Metrum entwickelt. Nicht zu vergessen die Schlagsahne,die den sonntäglichen Kuchen krönt. Und schließlich teilt das Schlagen der Uhr unser Leben in 31 536 000 Sekundenschläge pro Jahr ein.
    Diese kleinen Denkanstöße sollen dazu anregen, die erstaunliche Partitur von »Schlägen« zu studieren. Interessant daran ist, dass Schläge beides sein können: Neuanfang und Ende, Leben und Sterben, Sinn und Sinnlosigkeit. Die Geburt unserer Welt, die Entstehung von Leben, die Historie, die Entwicklung jedes Wesens: Sie alle sind eine Symphonie von unvorhersehbaren Ereignissen, Wendungen und Schlägen.
    Wovon hängt es ab, wie sehr wir uns von etwas »schlagen« lassen? Es hängt sehr viel davon ab, ob wir glauben, wir haben unser Leben selbst in der Hand. Wer sich unverrückbar fest im Sattel wähnt, für den muss alles, was außerhalb der Vorhersehbarkeit und Kontrolle liegt, besonders verunsichernd und verstörend sein. Wer zudem noch davon ausgeht, dass er dem Schicksal ein Schnippchen schlagen kann, wenn er sich richtig verhält, für den muss es besonders kränkend sein, wenn es ihn trifft. Und wer meint, jede Situation meistern und beherrschen zu können, ist natürlich höchst irritiert, wenn er sich plötzlich überraschenden Wendungen ausgeliefert fühlt.
    Gewiss gibt es vieles, auf das ich Einfluss nehmen kann. Besonders was mein eigenes Leben betrifft, kann ich mich für eine geringere oder höhere Selbstzerstörungsgeschwindigkeit entscheiden. Aber weitaus das meiste in der Welt und auch in meiner eigenen Lebenswelt geschieht ohne mein Dazutun. Allem, was stärker ist als wir selbst, sind wir tendenziell ausgeliefert. Eine besondere Haltung scheint notwendig, damit wir uns nicht erschlagen lassen oder geschlagen geben. Doch auch wenn wir unseren Weg nicht allein bestimmen, so können wir ihn dennoch aufunsere ganz persönliche Weise gehen. Wir können Bündnisse mit anderen Weggenossen schließen, um nicht allein auf unseren Wegen zu sein.

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