Leben statt kleben
was wir schon immer mal ausprobieren wollten. Unsere Sammlung von Erfahrungen müssen wir nie abstauben. Und das Beste: Wir können sie am Ende sogar mitnehmen.
Das „Richtige“ tun
Der Entsafter steht seit Ewigkeiten unbenutzt im Schrank. Weit mehr als nur ein verstaubendes Küchengerät symbolisiert er unsere Ambitionen auf einen gesunden Lebensstil. Wir können uns nicht trennen, da wir das Richtige tun wollen. Keine Fehler machen, nichts verschwenden, niemanden verletzen und Applaus dafür. Wir sind besondere Blumen, wir blühen am liebsten, wenn gerade jemand hinschaut. Anerkennung ist ein Grundbedürfnis. Daher tun wir uns schwer, endgültige Entscheidungen zu treffen, Schlussstriche zu ziehen und Geschenke oder Ererbtes weiterzugeben. Um Schuldgefühle zu vermeiden, lassen wir uns zu Erstaunlichem verführen. Eine Klientin nahm am Ende eines Fluges zwanzig Plastikbeutel mit dem Logo der Fluglinie, Mini-Zahnpastatuben und Einmalbesteck mit, da das sonst im Müll gelandet wäre. Wir belasten uns mit Unbrauchbarem, da wir „Verschwendung“ nicht ertragen. Direkt unter der Staubschicht liegt die Schuldschicht. „Das hat soviel gekostet.“ Die Fehlinvestition lässt sich durch Nichtstun nicht rückgängig machen. Warum lenken wir uns mit selbsterfundenen Währungen ab, statt die wirklichen Kostbarkeiten als teuer zu bezeichnen? Warum zählen wir Lebenszeit nur bei Neugeborenen ehrfürchtig in Tagen?
Andere Klebstoffe: „Das wollte ich doch irgendwann nochmal (fertig) machen.“ Wollen wir wirklich? Wann? „Diesen Ring hat schon meine Urgroßmutter getragen.“ Wir verletzen das Andenken an Verstorbene nicht, wenn wir deren Dinge in Frieden weiterziehen lassen. Eine Seminarteilnehmerin hatte ihr kleines Wohnzimmer mit Klavier und Orgel ihrer verstorbenen Mutter verbarrikadiert, obwohl sie diese Instrumente nie spielen wollte. Der Raum war so voller Erinnerungen, dass sich die Tür kaum öffnen ließ. Sie hatte jahrelang keinen Zugang zum Herzstück ihrer Wohnung, konnte sich nicht mehr mit Freunden auf die Couch setzen. Weil sie es nicht über’s Herz brachte „meine Mutter wegzuwerfen.“ Unsere lieben Verstorbenen erwarten nicht, dass wir uns aus Trauer und Verpflichtungsgefühlen gleich mitbegraben. Sie wollen, dass wir glücklich sind.
In unseren Breitengraden ist es Tradition, Wertschätzung durch die Überreichung eines Gegenstands auszudrücken. Das Geschenkpapier ist ab: „Oh nein, bitte, was ist das denn?!“ Gleichzeitig versuchen, ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern und Enthusiasmus aufzubringen für Pullunder oder Blümchenvase, die mit unserem Stil rein gar nichts zu tun haben. Wenn wir trotzdem ein herzliches Dankeschön sagen, ist das keine Heuchelei. Wir bedanken uns für Mühe, Zeit und Geld, die die Schenkenden investiert haben, um uns eine Freude zu machen. Wir nehmen die Essenz voller Dankbarkeit an: Liebe – symbolisiert in einer Gabe. Wenn wir diesen Schatz im Herzen bewahren, können wir den Gegenstand weiterziehen lassen. Im Vertrauen darauf, dass er ein Zuhause findet, wo er geschätzt und gebraucht wird. Geschenkideen sind eine Herausforderung, da wir in der Regel bereits mehr besitzen, als sich sinn- und lustvoll in unser Leben integrieren lässt. Eine Klientin erzählte, dass ihre Mutter sie eines Tages bat, ihr nur noch Dinge zu schenken, die sie wieder zurückhaben wollte. Seitdem gibt‘s zum Geburtstag Einladungen ins Theater oder Restaurant. Keinerlei Sorgen, ob die Beschenkten die Erfahrung etwa schon haben. Schöne Erlebnisse nehmen keinen Platz weg und haben kein Verfallsdatum!
„Ich habe da dieses kostbare Ding, möchte es aber nicht ‚verschwenden‘ und daher nur in gute Hände abgeben.“ Am liebsten mit schriftlicher Bestätigung, dass die Empfänger sich als garantiert würdig, bedürftig und zutiefst dankbar erweisen. – Sind wir das? Ist das Ding bei uns in guten Händen? Gibt es eine tragischere Vergeudung, als etwas unbenutzt vor sich hin verstauben zu lassen? Stellen wir uns vor, welche Begeisterung das Teil bei jemand anderem auslösen könnte. Wir stehen dieser Freude im Weg, solange wir nicht loslassen wollen. Musikinstrumente, bei uns für immer verstummt (nein, die Kinder wollen sie in 35 Jahren auch nicht haben), könnten anderswo weiterklingen.
Ein beliebter Vorwand, um an Unbenutztem kleben zu bleiben: „Ich weiß nicht, wo ich das hingeben kann und einfach wegwerfen will ich es nicht.“ Wo ein Wille ist, findet sich der Weg. Am Tag
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