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Leben statt kleben

Leben statt kleben

Titel: Leben statt kleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Medele
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nach der Kleidersortieraktion landet ein Wurfzettel im Briefkasten: eine Wohltätigkeitsorganisation holt Ende der Woche Kleidung ab. Es weiß immer jemand Bescheid, wo gerade gesammelt wird. Kinderheim, Frauenhaus, Obdachlosenunterkunft, die innere Mission oder Oxfam entlasten uns gerne. Als Mitglied bei www.de.freecycle.org genügt eine E-Mail und jemand holt sperrigeren Kram ab. Auf der nächsten Party verkündet ein Karton voller aussortierter Bücher den Gästen in Druckbuchstaben: „Wer will mich? Geschenke für alle!“ Solche Freudenbringer stehen auch gerne in Treppenaufgängen im Block herum und beglücken die Nachbarn. Oder sie wagen sich bis auf die Straße hinaus, unerschrocken auf dem Weg in ihr neues sinnerfülltes Leben. Gewächse samt Übertopf ziehen aus. Wir sind ihrer überdrüssig geworden, rebellieren gegen ihr Immer-noch-dasein oder Zu-groß-gewachsen-sein mit der Weigerung, sie umzutopfen. Enthalten ihnen sogar das Wasser vor und haben ob dieser schleichenden Vernichtung ein riesig schlechtes Gewissen. Wir wollen ja niemanden umbringen. Nur diesen Gummibaum nicht mehr in unserem Leben haben. Vor’s Haus damit, anderen fehlt zum vollendeten Wohnungsglück nur noch die überdimensionale Grünpflanze. Die neuen Besitzer werden sie mit aller Liebe und allem Wasser überschütten, die sie braucht. Wir sind wieder ein freier Mensch. Alle glücklich.
    Wenn wir uns um die angebliche Verschwendung von Jackett oder Bildband sorgen, versuchen wir, auf einem Rettungsring aus Stoff und Papier der Verantwortung davonzutreiben. Rettungsringe basteln bringt willkommene Ablenkung von ernsthafterer Vergeudungsgefahr – der von Lebenszeit. Tage wollen nicht herumgebracht werden. Zeit ist nicht zum Totschlagen da. Die herzzerreißendste Verschwendung liegt jenseits der Dingewelt. Im Verplempern einer Woche, eines Nachmittags. Wir machen uns in den Stunden breit, als ob das nächste Morgengrauen auf Ewig garantiert wäre.
    Was wir tun, verblasst vor dem wie. Wie wollen wir durch das Geschenk dieses einmaligen Tages gehen? Kein Lächeln mehr verpassen. Nicht übersehen, wie der Nebel in den Bäumen hängt und der Wind mit den Blättern fangen spielt. Mitsummen, einstimmen, in den luftig klingenden Glanz des Jetzt.
    Innere Rebellionen ausleben
    Wenn wir in einem Umfeld aufwuchsen, in dem Aufräumen Strafe war, setzen wir Unordnung vielleicht mit Freiheit gleich. Allen Klischees zum Trotz gedeiht Kreativität aber nicht im Chaos. Nach der Genialphase braucht die zündende Idee ihre bodenständigeren Geschwister Disziplin und Organisation, um erfolgreich umgesetzt zu werden. Organisieren heißt nicht, auf ewig Etiketten zu kleben und jeglicher Spontaneität auf Nimmerwiedersehen zu winken. Im Gegenteil. Je größer das Chaos, desto mehr Notfalleinsätze und Ausbügeln, Zeit zum Auftanken wird knapp, Staunen und Lebendigsein zum Luxus. Organisation bringt ein Ende des Stillstands und Freiraum für Entwicklung. In der Natur bleibt nichts wie es ist. Stillstand ist Tod. Unser Körper ersetzt Millionen von Zellen pro Sekunde, alle sieben Jahre bewohnen wir ein rundum erneuertes Modell.
    Vielleicht sind also unsere Eltern schon lange verstorben und wir sitzen noch immer im Kinderzimmer (aus dem inzwischen die eigene Wohnung geworden ist) und triumphieren: „Ich räum’ aber nicht auf!” Sind auf die Barrikaden gegangen, indem wir alles behalten oder alles um uns verstreuen. Tohuwabohu als zeitverschobener Widerstand gegen Erziehungsberechtigte, die verbotenerweise in unser Zimmer eindrangen, um dort „aufzuräumen“, das heißt alles durcheinander zu bringen und unsere Privatsphäre zu verletzen.
    Durcheinander kann auch dazu dienen, gegenwärtigen Mitbewohnern bildlich zu demonstrieren, dass sie nie einen Finger rühren. Dass ohne uns sowieso alles im Chaos versinken würde. Dass wir uns im Stich gelassen fühlen mit all der Verantwortung, die uns aufgebürdet wird oder nicht abgenommen. Dass wir alleine sind, obwohl wir zusammen wohnen.
    Es muss dem passiv-aggressiven Rebellionsvergnügen erstmal keinen Abbruch tun, dass wir uns inmitten der Stapel inzwischen selbst unwohl fühlen und schon lange keine Gäste mehr eingeladen haben. Dass wir als ruhelos Getriebene dem Daheimsein aus dem Weg gehen, sogar um den Preis, länger im Büro auszuharren. – Sobald wir aufhören zu fliehen und uns dem Clutter stellen, winkt als Belohnung ein Zuhause, das uns mit Kraft und Lebensfreude erfüllt. Wo das Heimkommen ein

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