Leben, um davon zu erzählen
wieder nach Barranquilla.
Alfonso Fuenmayor muss das alles auf den ersten Blick erraten haben, als er mich unangemeldet in unser altes Büro von El Heraldo - das von Cronica war wegen Geldmangels aufgegeben worden - treten sah. Er schaute mich über die Schreibmaschine an, als sei ich ein Gespenst, und rief besorgt aus:
»Was zum Teufel machen Sie hier, ohne Bescheid zu geben?«
Nicht oft in meinem Leben habe ich etwas geantwortet, das der Wahrheit so nahe kam:
»Ich bin am Ende, Maestro.«
Alfonso beruhigte sich.
»Ach so!«, sagte er, und in seiner alten Art spielte er dann auf die kolumbianischste Wendung aus der Nationalhymne an: »Der ganzen Menschheit, die in Ketten klagt, geht es zum Glück nicht anders.«
Er zeigte keinerlei Neugier für den Grund meiner Reise. Er glaubte eher an einen telepathischen Akt, hatte er doch allen, die in den vergangenen Monaten nach mir gefragt hatten, gesagt, dass ich jetzt irgendwann endgültig zurückkommen würde. Er erhob sich glücklich vom Schreibtisch, zog sich dabei sein Jackett an und meinte, ich käme wie vom Himmel gesandt, da er schon eine halbe Stunde zu spät für eine Verabredung sei, aber seinen Beitrag für den nächsten Tag noch nicht beendet habe; den solle ich doch bitte fertig schreiben. Ich kam gerade noch dazu, nach dem Thema zu fragen, und er antwortete mir in Eile vom Gang aus mit der Unverfrorenheit, die für unsere Freundschaft typisch war:
»Lesen Sie, dann werden Sie schon sehen.«
Am nächsten Tag standen sich im Büro von El Heraldo wieder zwei Schreibmaschinen gegenüber, und ich schrieb »La Jirafa«, immer noch für die gleiche Seite und - selbstverständlich - für das gleiche Geld. Und unter den gleichen persönlichen Bedingungen zwischen Alfonso und mir, so dass viele Beiträge absatzweise von dem einen und dem anderen geschrieben waren und es unmöglich war, sie zu unterscheiden.
Studenten der Zeitungswissenschaft oder Literatur haben in den Archiven versucht, die Texte zuzuordnen, das ist ihnen aber nur bei solchen gelungen, die ein spezifisches Thema haben, und dann nicht vom Stil her, sondern nur aufgrund der kulturellen Informationen.
Im Tercer Hombre hörte ich betrübt die schlechte Nachricht, dass man unseren Freund, den kleinen Dieb, getötet hatte. Eines Nachts war er wie immer losgezogen, um seinem Handwerk nachzugehen, und dann hatte man nur noch, ohne weitere Details, gehört, dass ihn in dem Haus, in das er gerade eingebrochen war, eine Kugel ins Herz getroffen hatte. Seine einzige Verwandte, die ältere Schwester, bat um die Herausgabe der Leiche, und zu dem Armenbegräbnis kamen nur wir und der Wirt des Tercer Hombre.
Ich zog wieder zu den Avilas. Meira Delmar, die nun erneut meine Nachbarin war, sorgte mit ihren beruhigenden Abendeinladungen für Läuterung nach meinen üblen Nächten im Gato Negro. Sie und ihre Schwester Alicia wirkten in ihrem Temperament wie Zwillingsschwestern, auch weil sie beide es schafften, dass die Zeit, wenn wir bei ihnen waren, im Kreis zu verlaufen schien. Auf eine ganz eigene Weise gehörten sie immer noch zur Gruppe. Mindestens einmal im Jahr wurden wir von ihnen zu einem Gastmahl mit arabischen Köstlichkeiten gebeten, die unsere Seelen labten, und dann gab es auch überraschende Einladungen, wenn berühmte Leute zu Besuch kamen, von großen Künstlern jedweder Sparte bis hin zu verirrten Poeten. Ich glaube, die Schwestern waren es, die gemeinsam mit Pedro Viaba Ordnung in meine chaotische Musikbegeisterung brachten und mich in die glückliche Clique des Centro Artistico aufnahmen.
Heute meine ich, dass Barranquilla mir einen schärferen Blick auf Laubstunn gewährte, jedenfalls machte ich mich, sobald ich wieder einen Schreibtisch und eine Maschine hatte, mit neuem Elan an die Korrektur. In jener Zeit wagte ich es dann auch, der Gruppe die erste lesbare Abschrift des Romans zu geben, wohl wissend, dass er noch nicht fertig war. Wir hatten schon so oft darüber geredet, dass jede Erklärung überflüssig war. Alfonso saß mir zwei Tage lang gegenüber, ohne den Text auch nur zu erwähnen. Am dritten Tag legte er, nachdem wir die letzten Arbeiten am Abend erledigt hatten, das offene Manuskript auf den Schreibtisch und las aus den Seiten vor, die er mit Papierstreifen markiert hatte. Er zeigte sich weniger als Kritiker denn als Lektor, der Widersprüche aufspürte und stilistische Verbesserungen vorschlug. Seine Anmerkungen waren so treffend, dass ich alles übernahm, außer den
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