Leben, um davon zu erzählen
Einwänden gegen eine Episode, die er an den Haaren herbeigezogen fand, obwohl ich ihm dargelegt hatte, dass es sich um ein reales Erlebnis aus meiner Kindheit handelte.
»Sogar die Realität irrt sich, wenn die Literatur schlecht ist«, sagte er und lachte sich kaputt.
Germán Vargas hatte eine andere Methode. Wenn der Text so weit in Ordnung war, ging er nicht sofort ins Detail, sondern gab erst einmal einen beruhigenden Kommentar ab, der mit einem Ausrufezeichen endete:
»Klasse!«
In den folgenden Tagen ließ er jedoch immer wieder verstreute Bemerkungen über das Buch fallen, die an irgendeinem feuchtfröhlichen Abend in einem scharfsinnigen und strengen Urteil gipfelten. Wenn er den Entwurf nicht gut fand, führte er mit dem Autor ein Gespräch unter vier Augen und sagte ihm das mit solcher Offenheit und Eleganz, dass dem Anfänger, der eigentlich am liebsten geweint hätte, nichts anderes übrig blieb, als von Herzen zu danken. Dazu kam es bei mir nicht. Als ich es am wenigsten erwartete, machte Germán eines Tages eine halb scherzhafte, halb ernste Bemerkung über mein Manuskript, die mein Herz wieder ruhig schlagen ließ.
Álvaro war aus dem Japy verschwunden und gab kein Lebenszeichen. Fast eine Woche später, als ich überhaupt nicht mit ihm rechnete, schnitt er mir auf dem Paseo Bolívar mit seinem Wagen den Weg ab und schrie mir in bester Laune zu:
»Steigen Sie ein, Maestro, jetzt kriegen Sie was ab, das haben Sie verdient.«
Das war sein schmerzstillender Satz. Wir fuhren ziellose Runden durch das brütend heiße Geschäftszentrum, während Álvaro schreiend eine zwar emotionale, doch sehr beeindruckende Analyse seiner Leseeindrücke zum Besten gab. Er unterbrach sich dabei, wenn er einen Bekannten auf dem Gehsteig sah, rief einen herzlichen oder spöttischen Gruß hinüber und nahm dann, mit einer Stimme, die ob der Anstrengung einem Reibeisen glich, wieder seine exaltierte Argumentation auf, das Haar zerwühlt und die Augen aufgerissen, als blickten sie mich durch die Gitterstäbe eines Gefängnisses an. Schließlich landeten wir mit einem kalten Bier auf der Terrasse von Los Almendros, das fanatische Geschrei für Junior oder Sporting auf der anderen Straßenseite im Ohr, und wurden am Ende von der Menge der Irren überrannt, die, empört über ein unwürdiges 2 : 2, aus dem Stadion stürmten. Das einzige endgültige Urteil über mein Romanmanuskript schrie mir Álvaro ganz zuletzt durchs Wagenfenster zu:
»Wie auch immer, Maestro, da steckt noch viel costumbrismo drin.«
Ich konnte ihm gerade noch erfreut zurufen:
»Aber von der guten Sorte, wie bei Faulkner!«
Er brach in ein phänomenales Gelächter aus, das alles, was weder gesagt noch gedacht war, wegfegte:
»Seien Sie bloß kein Arschloch!«
Fünfzig Jahre später höre ich noch immer, wenn ich an den Nachmittag denke, das explosive Lachen, das wie Steinhagel in der glühenden Straße widerhallte.
Ich kam zu dem Schluss, dass allen dreien, abgesehen von ihren ganz persönlichen und vielleicht berechtigten Einwänden, der Roman gefallen hatte, dass sie es aber vielleicht deshalb nicht so deutlich sagten, weil ihnen das zu billig schien. Keiner sprach von einer Veröffentlichung, und auch das war typisch für sie, denn ihnen ging es nur darum, gut zu schreiben. Der Rest war Sache der Verleger.
Das heißt: Ich war wieder im guten alten Barranquilla, doch mich quälte das Bewusstsein, dass ich diesmal nicht genügend Ausdauer aufbringen würde, weiter »La Jirafa« zu schreiben. Die Kolumne hatte ihre Aufgabe erfüllt, mir täglich eine handwerkliche Übung aufzuerlegen, um das Schreiben von der Pike auf zu lernen, und darum hatte ich mich mit der Hartnäckigkeit und dem erbitterten Anspruch, ein anderer Schriftsteller zu werden, bemüht. Zuweilen kam ich mit dem jeweiligen Thema nicht zurecht und suchte mir ein anderes, da ich merkte, dass ich überfordert war. Auf alle Fälle war »La Jirafa« in meiner Entwicklung zum Schriftsteller ein wichtiges Training, begleitet von dem beruhigenden Wissen, dass es sich um eine schlichte Brotarbeit ohne jede historische Verpflichtung handelte.
Allein die tägliche Themensuche hatte mir die ersten Monate zur Qual gemacht. Ich hatte keine Zeit mehr für anderes, da ich Stunden damit verbrachte, die übrigen Zeitungen zu durchforschen, selbst bei privaten Gesprächen machte ich mir Notizen, und ich verstieg mich in Phantasien, die mir den Schlaf raubten, bis mir dann das wirkliche Leben zu
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