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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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lesen. Das war sie dann auch. Sie hieß Comprimido, und ich schrieb sie gegen elf Uhr vormittags in einer Stunde, Dávila brauchte zwei Stunden für Layout und Druck, und ein wagemutiger Zeitungsverkäufer, der nicht genügend Puste hatte, um sie mehr als einmal auszurufen, verteilte sie.
    Comprimido erschien am 18. September 1951 zum ersten Mal, und der Erfolg hätte nicht durchschlagender und kürzer sein können: drei Ausgaben in drei Tagen. Dávila gestand mir, dass er nicht einmal mit schwarzer Magie eine so bedeutende Idee mit so geringen Mitteln hätte umsetzen können, die so wenig Raum beanspruchte, in so wenig Zeit verwirklicht wurde, um dann so schnell wieder zu verschwinden. Am seltsamsten war, dass ich am zweiten Tag, berauscht davon, wie fanatisiert man sich auf der Straße um die Exemplare riss, einen Augenblick lang dachte, so einfach ließe sich mein Leben gestalten. Der Traum dauerte bis zum Donnerstag, als der Geschäftsführer uns erklärte, dass eine weitere Nummer die Pleite bedeuten würde, selbst wenn wir uns entschieden, Anzeigen zu drucken, da diese so klein und so teuer sein müssten, dass es einfach keine vernünftige Lösung für das Problem gab. Die Konzeption der Zeitung, die sich aus ihrem Format ergab, trug, mathematisch gesehen, den Keim der Zerstörung in sich: Je höher die Auflage war, desto kostspieliger wurde Comprimido.
    Ich hing in der Luft. Der Umzug nach Cartagena war nach der Erfahrung mit Crónica angebracht und nützlich gewesen und hatte mir zudem eine günstige Atmosphäre beschert, um weiter an Laubsturm zu schreiben, vor allem, weil man in unserem Haus, wo Unerhörtes stets möglich schien, gewissermaßen in einem kreativen Fieber lebte. Ich muss mich nur an ein Mittagessen erinnern, als wir mit meinem Vater darüber sprachen, wie schwierig es für viele Schriftsteller sei, ihre Memoiren zu schreiben, wenn sie sich schon an nichts mehr erinnerten. Cuqui, kaum sechs Jahre alt, kam mit großartiger Einfachheit zu dem Schluss:
    »Dann muss ein Schriftsteller eben als Erstes seine Memoiren schreiben, solange er sich noch an alles erinnert.«
    Ich wagte nicht zuzugeben, dass mir mit Laubsturm das Gleiche widerfuhr wie einst mit La casa: Die Erzähltechnik interessierte mich inzwischen mehr als das Thema. Nachdem ich ein Jahr lang mit so viel Begeisterung daran gearbeitet hatte, offenbarte sich mir der Roman nun als Labyrinth ohne Ein- und Ausgang. Heute glaube ich den Grund dafür zu kennen. Durch den costumbrismo, das Genre der regionalistischen Sittenschilderung, das anfangs für so viel Erneuerung gesorgt hatte, bekamen schließlich auch die großen nationalen Themen, mit denen man seine Enge überwinden wollte, etwas Abgestandenes. Tatsächlich konnte ich damals keine Minute der Ungewissheit mehr aushaken. Ich musste nur noch einige Daten und stilistische Entscheidungen überprüfen, bevor ich den Schlusspunkt setzte, und dennoch hatte ich den Eindruck, dass der Roman nicht atmete. Nach der langen Arbeit in Finsternis war ich so festgefahren, dass ich das Buch schon untergehen sah, die Lecks aber nicht erkannte. Das Schlimme war, dass mir an diesem Punkt niemand mehr helfen konnte, da die Risse sich nicht im Text, sondern in mir selbst auftaten und nur meine Augen sie entdecken und nur mein Herz darunter leiden konnte. Vielleicht habe ich auch deshalb, als ich meine Schulden vom Möbelkauf bei El Heraldo abgearbeitet hatte, ohne es lang zu bedenken, mit dem Schreiben von »La Jirafa« ausgesetzt.
    Leider reichten weder Findigkeit noch Widerstandskraft oder Liebe aus, um die Armut zu besiegen. Alles schien sie zu begünstigen. Nach einem Jahr wurde der Ausschuss für die Volkszählung aufgelöst, und mein Gehalt bei El Universal war zu gering, um das auszugleichen. Ich ging nicht an die juristische Fakultät zurück, obwohl sich einige Lehrer listenreich verschworen hatten, mich trotz meines Desinteresses an ihrem Interesse und ihrer Wissenschaft vorwärts zu bringen. Was wir alle zusammen verdienten, reichte für die Familie nicht aus; mein Beitrag war immer zu klein, das klaffende Loch zu stopfen, und der Mangel an Hoffnungen machte mir mehr zu schaffen als der Mangel an Geld.
    »Wenn wir schon alle ertrinken sollen«, sagte ich an einem entscheidenden Tag beim Mittagessen, »dann lasst doch wenigstens zu, dass ich mich rette, um ein Ruderboot für euch aufzutreiben.«
    In fester Erwartung des Bootes ergaben sie sich darein, und ich zog in der ersten Dezemberwoche

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