Leben, um davon zu erzählen
gesegnete Gastgeberin, da sie einen Esstisch für vier Personen in einen für zwölf vergrößern konnte. Die beiden hatten sich kurz nach Luis' Ankunft in Bogotá im Jahr 1937 bei einem familiären Abendessen kennen gelernt. Am Tisch war nur noch neben Nancy ein Platz frei gewesen, die entsetzt den letzten Gast eintreten sah, der weißes Haar und die sonnenverwitterte Haut eines Bergsteigers hatte. »So ein Pech!«, hatte sie sich gesagt, »jetzt landet dieser Pole neben mir, der bestimmt nicht mal Spanisch kann.« Mit der Sprache hatte sie nicht so Unrecht, da das Spanisch des Neuankömmlings ein krudes, mit französischen Brocken durchsetztes Katalanisch war, während sie, die aus Boyacä kam, geistreich war und eine lockere Zunge hatte. Doch schon nach der ersten Begrüßung verstanden sie sich so ausgezeichnet, dass sie für immer zusammenzogen.
Ihre improvisierten Abendgesellschaften fanden nach den großen Filmpremieren in einer Wohnung statt, die mit einem Sammelsurium von Kunstgegenständen voll gestopft war und in die kein einziges weiteres Bild der jungen kolumbianischen Maler gepasst hätte, von denen einige einmal weltberühmt werden sollten. Ihre Gäste wählten sie unter der Creme der Kunst-und Literaturszene aus, und ab und zu kamen auch Mitglieder der Gruppe von Barranquilla. Nachdem meine erste Filmkritik erschienen war, wurde ich aufgenommen, als sei ich dort zu Hause, und wenn ich vor Mitternacht aus der Zeitung kam, lief ich zu Fuß die drei Straßen bis zu ihnen und hielt sie davon ab, schlafen zu gehen. Die Lehrmeisterin Nancy, die nicht nur eine hervorragende Köchin, sondern auch eine eingefleischte Ehestifterin war, improvisierte harmlose Essen, um mich mit den attraktivsten und freiesten Mädchen aus der Welt der Kunst zu verkuppeln, und sie verzieh es mir nie, dass ich ihr mit meinen achtundzwanzig Jahren sagte, meine wahre Berufung bestehe nicht darin, Schriftsteller oder Journalist zu werden, sondern unbesiegbarer Junggeselle zu bleiben.
Álvaro Mutis sorgte in den wenigen Pausen, die ihm zwischen seinen Weltreisen blieben, auf luxuriöse Art für meinen endgültigen Einstieg ins kulturelle Leben. In seiner Eigenschaft als Leiter der Öffentlichkeitsarbeit von Esso Colom-biana lud er alles, was in Literatur und Kunst Rang und Namen hatte, oft auch angereiste Gäste, in die teuersten Restaurants zum Mittagessen ein. Dem Dichter Jorge Gaitán Durán, der von der Idee getrieben war, eine große, kostspielige Literaturzeitschrift herauszugeben, gelang es, seinen Plan zu verwirklichen, zum Teil dank der Gelder, die Álvaro Mutis zur Förderung von Kultur vergeben konnte. Álvaro Castano Castillo und seine Frau Gloria Valencia wollten schon seit Jahren einen Rundfunksender gründen, der sich ausschließlich guter Musik und Kulturthemen widmen sollte. Wir alle machten uns wegen dieses gar so unrealistischen Projekts über sie lustig, nur Álvaro Mutis nicht, der ihnen nach Kräften half. Auf diese Weise gründeten sie HJCK »Die Welt in Bogotá«, mit einem Sender von 500 Watt, was damals das Mindeste war. Es gab noch kein Fernsehen in Kolumbien, doch Gloria Valencia schuf das metaphysische Wunderwerk einer im Radio übertragenen Modenschau.
Die einzige Erholung, die ich mir in jenen hektischen Zeiten gönnte, waren die geruhsamen Sonntagnachmittage im Haus von Alvaro Mutis. Er lehrte mich, ohne Klassenvorurteile Musik zu hören. Wir lagen auf dem Teppich und hörten die großen Meister mit dem Herzen, ohne tiefgründige Spekulationen. Das war der Ursprung einer Leidenschaft, die sich in dem versteckten kleinen Saal der Biblioteca Nacional angekündigt hatte und die uns nie mehr loslassen sollte. Bis heute habe ich so viel Musik gehört, wie nur möglich war, vor allem Kammermusik der Romantik, die für mich die höchste aller Künste ist. Als ich in Mexiko 1965 und 1966 an Hundert Jahre Einsamkeit schrieb, besaß ich nur zwei Platten, die vom vielen Hören abgenutzt waren: Les Préludes von Debussy und A Hard Days Night von den Beatles. Als ich dann später in Barcelona endlich fast so viele Platten hatte, wie ich mir immer gewünscht hatte, fand ich es zu konventionell, sie alphabetisch zu ordnen, und ich entschied mich, weil das für mich am praktischsten war, für eine Klassifizierung nach Instrumenten: Cello, mein Lieblingsinstrument, von Vivaldi bis Brahms; Geige von Corelli bis Schönberg; Cembalo und Klavier von Bach bis Banök. Bis sich mir das Wunder offenbarte, dass alles, was
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