Leben, um davon zu erzählen
Autorität, das ich mit der Reportage über Medellin gewonnen hatte, abzuwehren, aber ich schaffte es nicht. Guillermo Cano, der mit dem Rücken zu uns schrieb, rief, ohne uns anzusehen:
»Fahren Sie, Gabo, die Mädchen sind noch besser als in Haiti!«
Also machte ich mich auf, ohne auch nur einen Gedanken daran verschwendet zu haben, wie man über eine Protestkundgebung schreiben sollte, die sich der Gewalt verweigerte. Als Fotograf begleitete mich Guillermo Sánchez, der schon seit Monaten darauf drängte, dass wir gemeinsam Kriegsreportagen machen sollten. Genervt davon, das so oft zu hören, hatte ich geschrien:
»Was für ein Krieg denn, verdammt?«
»Stellen Sie sich nicht dumm, Gabo«, schleuderte er mir die Wahrheit ins Gesicht, »Sie sagen doch selbst dauernd, dass dieses Land seit der Unabhängigkeit im Krieg lebt.«
Frühmorgens am 21. September tauchte Sánchez in der Redaktion auf, und er sah, mit Beuteln und Kameras ausgerüstet, eher nach einem Kämpfer als nach einem Fotoreporter aus, der über einen verdeckten Krieg berichten soll. Die erste Überraschung war, dass man im Choco ankam, bevor man Bogotá verlassen hatte, nämlich auf einem kleinen Nebenflughafen, der zwischen verschrotteten Lastern und rostigen Flugzeugen lag und keinerlei Service bot. Unsere Maschine, wie durch Zauberkünste noch im Einsatz, war eine der legendären Catalinas aus dem Zweiten Weltkrieg, die von einer zivilen Luftfahrtslinie betrieben wurden. Es gab keine Sitze. Das Innere war karg und düster wegen der kleinen beschlagenen Fenster, und man hatte große Bündel von Pflanzenfasern für die Besenfabrikation geladen. Wir waren die einzigen Passagiere. Der Kopilot, in Hemdsärmeln, jung und gut aussehend wie ein Flieger aus einem Film, zeigte uns, welche Bündel am besten zum Sitzen geeignet waren. Er erkannte mich nicht, doch ich wusste, dass er ein großartiger Baseballspieler in der Liga La Matuna in Cartagena gewesen war.
Der Start war wegen des ohrenbetäubenden Dröhnens der Motoren und des blechernen Geklappers des schrottreifen Rumpfs beängstigend, selbst für einen so erprobten Passagier wie Guillermo Sánchez, aber als sich die Maschine dann im klaren Himmel der Savanne stabilisiert hatte, glitt sie mit der Tapferkeit des Kriegsveteranen dahin. Nach der Zwischenlandung in Medellin überraschte uns über dichtem Urwald zwischen zwei Kordilleren ein sintflutartiger Wolkenbruch, den wir frontal nehmen mussten. Wir erlebten, was wohl nur wenige Sterbliche erlebt haben: Es regnete im Flugzeug durch die Lecks im Rumpf. Unser Freund, der Kopilot, sprang über die Besenbündel und brachte uns die Zeitungen des Tages, damit wir sie als Regenschirm benützen konnten. Ich zog mir meine Zeitung über das ganze Gesicht, nicht so sehr, um mich vor dem Wasser zu schützen, sondern damit man nicht sah, wie ich vor Angst weinte.
Nach zwei Stunden des Zufalls und des Glücks neigte das Flugzeug sich über den linken Flügel, stieß in Angriffsposition abwärts und drehte zwei Erkundungsrunden über der großen Plaza von Quibdo. Guillermo Sánchez, der bereit war, aus der Luft die von den langen Wachen erschöpften Demonstranten aufzunehmen, sah nur einen leeren Platz. Das klapprige Wasserflugzeug drehte noch eine letzte Runde, um zu überprüfen, dass keine lebenden oder toten Hindernisse im friedlichen Rio Atrape trieben, und setzte in der schläfrigen Mittagshitze glücklich im Wasser auf.
Außer der mit Brettern reparierten Kirche, den von den Vögeln voll gekackten Zementbänken und einem herrenlosen Maultier, das an den Zweigen eines riesigen Baumes herumzupfte, gab es keinerlei Anzeichen von menschlicher Existenz auf der staubigen und einsamen Plaza, die an eine afrikanische Hauptstadt erinnerte. Wir hatten vorgehabt, von der protestierenden Menschenmenge sofort Fotos zu machen, diese gleich mit der zurückfliegenden Maschine nach Bogotá zu schicken und uns dann die nötigen Informationen aus erster Hand zu beschaffen, um sie telegrafisch für die Morgenausgabe durchzugeben. Nichts davon war möglich, weil nichts geschah.
Ohne Zeugen liefen wir die endlose Straße parallel zum Fluss entlang. Sie war gesäumt von Läden, die wegen der Mittagszeit geschlossen hatten, und Wohnhäusern mit Holzbalkonen und rostigen Dächern. Die Kulisse war perfekt, doch es fehlte das Drama. Unser guter Kollege Primo Guerrero, Korrespondent von El Espectador, lag in einer leichten Hängematte in der Laube seines Hauses und hielt
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