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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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die Pressekonferenz von General Rojas Pinilla. In einem Jeep für sechs Personen fuhren wir an seinem Haus in Melgar vorbei und kamen nach Mitternacht in Bogotá an. Im Redaktionssaal warteten noch alle auf uns, da das Informations- und Pressebüro der Regierung angerufen und ohne nähere Erklärungen Bescheid gegeben hatte, dass wir auf dem Landweg zurückkämen, nicht aber, ob tot oder lebendig.
    Bisher hatte die Militärzensur nur ein einziges Mal interveniert -nach dem Tod der Studenten im Zentrum von Bogotá. Es gab in der Redaktion keinen festen Zensor, nachdem der letzte, noch von der vorherigen Regierung eingesetzt, beinahe unter Tränen aufgegeben hatte, weil er nicht mehr den Hohn der Redakteure ertrug, die ihm falsche Schlagzeilen vorlegten und ihn, wo es ging, an der Nase herumführten. Wir wussten, dass das Informationsund Pressebüro uns nicht aus den Augen ließ, und sie warnten uns auch häufig per Telefon oder gaben väterliche Ratschläge. Das Militär, das sich am Anfang seiner Regierungszeit der Presse gegenüber einer forcierten Freundlichkeit befleißigt hatte, wurde unsichtbar oder unzugänglich. Eine der Vermutungen, die nach jenem Vorfall angestellt worden waren, verdichtete sich im Stillen jedoch allmählich zur weder verifizierten noch dementierten Gewissheit, dass nämlich der Führer jener Keimzelle der Guerrilla in Tolima ein zweiundzwanzigjähriger junger Mann gewesen war, der in diesem Metier Karriere machen sollte und dessen Name ebenfalls nie bestätigt oder dementiert worden ist: Manuel Marulanda Vélez oder Pedro Antonio Marin, genannt Tirofijo. Über vierzig Jahre später erklärte Marulanda, der in seinem Kriegsquartier dazu befragt wurde, dass er sich nicht mehr daran erinnern könne, ob er es wirklich gewesen sei.
    Damals war es nicht möglich, auch nur eine weitere Information zu bekommen. Seit meiner Rückkehr aus Villarrica brannte ich darauf, noch mehr herauszufinden, doch da war keine Tür, an die ich klopfen konnte. Zum Informations- und Pressebüro der Regierung hatten wir keinen Zugang, und über der unglückseligen Episode von Villarrica lag der Mantel militärischer Geheimhaltung. Ich hatte die Hoffnung schon begraben, als sich José Salgar vor meinem Schreibtisch aufpflanzte, sich kaltblütig gab, wie er nie wirklich gewesen ist, und mir ein gerade erst eingegangenes Telegramm zeigte.
    »Hier haben wir das, was Sie in Villarrica nicht gesehen haben«, sagte er.
    Es ging um das Drama einer Vielzahl von Kindern, die von den Streitkräften ohne durchdachten Plan und ohne die dazu nötigen Vorkehrungen aus ihren Dörfern und Weilern geholt worden waren, damit man beim Ausrottungskrieg gegen die Guerrilla von Tolima ungehindert vorgehen konnte. Man hatte die Kinder so hastig von ihren Eltern getrennt, dass nun niemand wusste, wer zu wem gehörte, und viele von den Kleinen konnten es selbst nicht sagen. Begonnen hatte das Drama mit einer Flut von eintausendzweihundert Erwachsenen, die man - nach unserem Besuch in Melgar - in verschiedene Dörfer des Tolimagebiets geleitet, notdürftig untergebracht und dann ihrem Schicksal überlassen hatte. Die etwa dreitausend Kinder unterschiedlicher Herkunft und Alters, die man aus schlichten logistischen Erwägungen von den Eltern getrennt hatte, waren auf verschiedene Waisenheime des Landes verteilt worden. Nur dreißig waren Vollwaisen, darunter ein gerade erst dreizehn Tage altes Zwillingspärchen. Die Aktion war absolut geheim und unter dem Schutz der Pressezensur durchgeführt worden, bis der Korrespondent von El Espectador in Ambalema, zweihundert Kilometer von Villarrica entfernt, uns telegrafisch erste Hinweise gab.
    Nach knapp sechs Stunden hatten wir im Amparo de Niños, dem Waisenhaus von Bogotá, dreihundert Kinder unter fünf Jahren gefunden. Von vielen war die Herkunft nicht bekannt. Die zweijährige Helí Rodríguez konnte uns gerade einmal ihren Namen sagen. Sonst wusste sie nichts, weder, wo sie sich befand, noch warum, und sie kannte weder den Namen ihrer Eltern, noch konnte sie einen Hinweis geben, wie man diese finden konnte. Ihr einziger Trost war, dass sie im Heim bleiben durfte, bis sie vierzehn war. Die Mittel des Waisenhauses beschränkten sich auf die achtzig Centavos monatlich, die von den Bezirksbehörden für jedes Kind bereitgestellt wurden. Zehn Kinder waren schon in der ersten Woche mit der Absicht geflohen, sich als blinde Passagiere in Züge nach Tolima zu schmuggeln, und wir konnten keine Spur mehr

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