Leben, um davon zu erzählen
Nach etwa fünfzehn intensiven Minuten landeten wir in Villarrica auf der riesigen trostlosen Plaza, deren steiniger Belag nicht stabil genug zu sein schien, um das Gewicht des Hubschraubers zu tragen. Um die Plaza standen Holzbauten, zerstörte Geschäfte und verlassene Wohnhäuser, nur eines war frisch gestrichen - es war das Hotel des Ortes gewesen, bevor der Terror Einzug gehalten hatte.
Vor uns sah man die Ausläufer der Kordillere und in der Ferne das Zinkdach eines einzelnen Hauses, das im Dunst der Bergkuppe kaum zu erkennen war. Der Offizier, der uns begleitete, wies darauf hin, dass dort die Guerrilleros säßen und Waffen hätten, deren Reichweite uns gefährlich werden könnte. Wir mussten folglich im Zickzack und mit vorgebeugtem Oberkörper zum Hotel rennen, eine Mindestvorsichtsmaßnahme gegen mögliche Schüsse aus Richtung Kordillere. Erst als wir das Hotel erreicht hatten, merkte ich, dass man es in eine Kaserne verwandelt hatte.
Ein Oberst in Kampfausrüstung, gut aussehend wie ein Filmschauspieler, intelligent und sympathisch, erklärte uns gelassen, dass die Vorhut der Guerrilleros seit mehreren Wochen in jenem Haus in der Kordillere kampiere und von dort aus mehrere nächtliche Überfälle auf den Ort versucht habe. Das Heer rechnete damit, dass sie irgendetwas unternehmen würden, wenn sie die Hubschrauber auf der Plaza entdeckten, und die Truppe war darauf vorbereitet. Doch nachdem man eine Stunde lang versucht hatte, sie zu provozieren und sogar per Lautsprecher herauszufordern, gaben die Guerrilleros immer noch kein Lebenszeichen von sich.
Entmutigt schickte der Oberst eine Patrouille aus, die herausfinden sollte, ob überhaupt noch jemand in dem Haus war.
Die Anspannung ließ nach. Wir Journalisten verließen das Hotel und erkundeten die umliegenden Straßen, sogar die weniger geschützten an der Plaza. Der Fotograf und ich begannen mit anderen auf einem gewundenen Maultierpfad den Aufstieg zur Kordillere. Hinter der ersten Kurve lagen, das Gewehr im Anschlag, Soldaten zwischen den Büschen. Ein Offizier gab uns den Rat, zur Plaza zurückzukehren, da jederzeit etwas passieren könne, aber wir hörten nicht auf ihn. Wir wollten so weit aufsteigen, dass wir auf eine Vorhut der Guerrilla trafen, um den Tag mit einer großen Nachricht zu retten.
Es kam nicht dazu. Plötzlich hörten wir mehrere gleichzeitige Befehle und unmittelbar darauf eine Salve des Militärs. Wir warfen uns in der Nähe der Soldaten zu Boden, und diese eröffneten das Feuer auf das Haus am Berg. In der Verwirrung des Augenblicks verlor ich Rodríguez aus den Augen, der auf der Suche nach einer strategischen Position für sein Objektiv verschwunden war. Der Schusswechsel war sehr heftig, dauerte aber nicht lang, und zurück blieb eine tödliche Stille.
Als wir die Plaza wieder erreicht hatten, sahen wir eine Militärpatrouille mit einer Bahre aus dem Wald kommen. Der Führer der Patrouille war sehr nervös und verbot das Fotografieren. Ich suchte Rodríguez und sah ihn fünf Meter rechts von mir mit schussbereiter Kamera auftauchen. Die Patrouille hatte ihn nicht gesehen. Ich durchlebte einen Augenblick größter innerer Anspannung, da ich hin- und hergerissen war zwischen dem Impuls, Rodríguez zuzurufen, er solle nicht fotografieren - ich hatte Angst, man könnte wegen Ungehorsams auf ihn schießen -, und dem professionellen Instinkt, das Foto um jeden Preis zu bekommen. Es blieb mir keine Zeit zur Entscheidung, denn im gleichen Moment hörte ich den donnernden Schrei des Patrouillenführers:
»Kein Foto!«
Rodríguez nahm die Kamera ohne Hast herunter und stellte sich neben mich. Der Trupp zog so nah an uns vorüber, dass wir die säuerliche Ausdünstung der lebendigen Leiber und die Stille des Leichnams spürten. Als sie vorbei waren, flüsterte Rodríguez mir ins Ohr:
»Ich habe das Foto.«
So war es, aber es wurde nie veröffentlicht. Die Einladung hatte mit einer Katastrophe geendet. Es gab noch zwei weitere verletzte Soldaten und mindestens zwei tote Guerrilleros, die schon zu dem einsamen Haus abgeschleppt worden waren. Die Stimmung des Obersts hatte sich verdüstert. Er gab uns nur noch die schlichte Information, dass der Besuch abgesagt sei, wir noch eine halbe Stunde zum Mittagessen hätten und danach gleich auf der Landstraße nach Melgar zurückführen, weil die Hubschrauber für die Verletzten und die Toten gebraucht würden. Wie viele es jeweils waren, wurde uns nie gesagt.
Keiner erwähnte mehr
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