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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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von ihnen finden.
    Bei vielen der Kleinen wurde im Waisenhaus so etwas wie eine administrative Taufe vollzogen, bei der sie Namen aus der Region bekamen, damit man sie auseinander halten konnte, aber es waren so viele Kinder, und sie sahen einander so ähnlich, dass man sie in den Pausen nicht unterscheiden konnte, auch weil sie so ruhelos waren, besonders in den kalten Monaten, wenn sie über die Gänge und Treppen rannten, um sich aufzuwärmen. Bei diesem erschütternden Besuch drängte sich mir zwangsläufig die Frage auf, ob die Guerrilla, die den Soldaten im Gefecht getötet hatte, unter den Kindern von Villarrica vergleichbare Verheerungen hätte anrichten können.
    Die Geschichte jenes logistischen Irrsinns wurde in mehreren Folgen abgedruckt, ohne dass wir dafür Erlaubnis eingeholt hätten. Die Zensur schwieg, und das Militär reagierte mit der Erklärung, die gerade in Mode war: Die Vorfälle in Villarrica seien Teil einer breiten Offensive der Kommunisten gegen die Regierung der Streitkräfte, weshalb man gezwungen sei, wie im Krieg vorzugehen. Schon nachdem ich eine Zeile von diesem Kommunique gelesen hatte, kam mir der Gedanke, mich direkt bei Gilberto Vieira, dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei, zu informieren, den ich allerdings noch nie gesehen hatte.
    Ich weiß nicht mehr, ob ich den nächsten Schritt mit Autorisierung der Zeitung tat oder auf eigene Faust unternahm, jedenfalls kann ich mich noch gut daran erinnern, dass ich mehrere vergebliche Versuche machte, Kontakt zu irgendeinem der Führer der illegalen Kommunistischen Partei zu bekommen, der mich über die Lage in Villarrica hätte informieren können. Das Hauptproblem war, dass die Kommunisten im Untergrund wie nie zuvor von den Militärs gejagt wurden. Ich kontaktierte dann einen kommunistischen Freund, und zwei Tage später stand vor meinem Schreibtisch ein anderer Uhrenverkäufer; der Mann hatte mich schon gesucht, um die Raten zu kassieren, die ich nicht mehr in Barranquilla hatte zahlen können. Ich zahlte, so viel ich konnte, und sagte ihm nebenbei, ich müsse dringend mit einem seiner großen Führer sprechen, doch er erwiderte mit der üblichen Formel, er sei kein Verbindungsmann und er wisse auch nicht, an wen ich mich wenden könnte. Am selben Nachmittag noch überraschte mich jedoch am Telefon eine wohlklingende, unbekümmerte Stimme:
    »Hallo, Gabriel, hier ist Gilberto Vieira.«
    Obwohl er das bekannteste Gründungsmitglied der Kommunistischen Partei war, hatte Vieira bis dahin noch keine Minute im Exil oder im Gefängnis verbracht. Trotz des Risikos, dass beide Telefone abgehört wurden, gab er mir die Adresse seines geheimen Domizils, damit ich ihn noch am Abend besuchen käme.
    Es war eine Wohnung mit zwei Schlafzimmern und einem kleinen Salon, der mit belletristischen und politischen Büchern voll gestopft war. Sie lag im sechsten Stock, zu dem man über steile und finstere Treppen gelangte, völlig außer Atem, nicht nur wegen der Höhe, sondern auch wegen des Bewusstseins, in eins der bestgehüteten Geheimnisse des Landes einzudringen. Vieira wohnte dort mit seiner Frau Cecilia und einer neugeborenen Tochter. Da seine Frau nicht zu Hause war, hatte er die Wiege in greifbarer Nähe und schaukelte sie leicht, wenn die Kleine mit ihrem Schreien zu lange das Gespräch unterbrach, bei dem es sowohl um Politik wie um Literatur ging und das nicht sehr humorvoll verlief. Es war kaum vorstellbar, dass dieser rosige Glatzkopf in den Vierzigern mit klaren und durchdringenden Augen und präziser Ausdrucksweise der Mann war, der von den Geheimdiensten des Landes am dringlichsten gesucht wurde.
    Ich merkte gleich zu Anfang, dass er, seit ich bei El Nacional in Barranquilla die Uhr gekauft hatte, über mein Leben Bescheid wusste. Er las meine Reportagen in El Espectador, identifizierte auch die unsignierten Beiträge und las zwischen den Zeilen, um den verborgenen Absichten auf die Spur zu kommen. Auch er war jedoch der Meinung, dass ich dem Land den besten Dienst erwies, wenn ich auf meiner Linie weiterarbeitete, ohne mich von irgend jemandem in die politische Pflicht nehmen zu lassen.
    Sobald ich dazu gekommen war, ihm von dem Grund meines Besuchs zu erzählen, ging er gründlich auf das Thema ein. Er kannte sich mit der Situation in Villarrica so gut aus, als sei er selbst dort gewesen, doch wegen der Zensur konnten wir kein Wort davon veröffentlichen. Ich erhielt von ihm aber wichtige Angaben, die mir die Einsicht

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