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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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dieser Mann erst am Kriegsschauplatz angekommen, als der Waffenstillstand bereits unterschrieben war. Männer wie er wurden allerdings auch Opfer des kolumbianischen Machismo, der sich nun darin äußerte, quasi als Trophäe einen Koreaveteranen zu erlegen. Noch keine drei Jahre nach der Rückkehr des ersten Kontingents waren bereits weit über ein Dutzend dieser Männer eines gewaltsamen Todes gestorben. Ein paar kamen bei verschiedenen unsinnigen Zwischenfällen schon kurz nach der Rückkehr um. Einer wurde bei einem Streit erstochen, weil er in einer Kneipe öfters dasselbe Lied auf einem Musikautomaten gespielt hatte. Der Unteroffizier Cantor, der seinem Namen alle Ehre gemacht und in den Gefechtspausen Gitarre gespielt und dazu gesungen hatte, wurde ein paar Wochen nach seiner Rückkehr erschossen. Ebenfalls in Bogotá wurde ein anderer Veteran erstochen, für dessen Begräbnis unter den Nachbarn gesammelt werden musste. Angel Fabio Goes, der im Krieg ein Auge und eine Hand verloren hatte, wurde von drei nie gefassten Unbekannten getötet.
    Ich erinnere mich, als sei es gestern gewesen, wie ich gerade an der letzten Folge schrieb, als das Telefon auf meinem Schreibtisch läutete und ich sofort die strahlende Stimme von Martina Fonseca erkannte:
    »Alo?«
    Mit klopfendem Herzen unterbrach ich den Artikel mitten in der Seite und überquerte die Avenida, um mich mit ihr im Hotel Continental zu treffen. Ich hatte sie zwölf Jahre nicht gesehen, und es war nicht leicht, sie von der Tür aus unter all den Frauen zu erkennen, die im vollen Speisesaal zu Mittag aßen, doch dann winkte sie mit dem Handschuh. Sie war wie immer nach ihrem persönlichen Geschmack gekleidet, trug einen Mantel aus Büffelleder, einen welken Fuchs über den Schultern und einen Jägerhut auf dem Kopf, und die Jahre waren ihrer von der Sonne malträtierten Pflaumenhaut und den glanzlosen Augen anzusehen, ja ihre ganze Erscheinung wurde von den ersten Zeichen eines ungerechten Alters geschmälert. Wir beide merkten wohl, dass zwölf Jahre in ihrem Alter viel waren, aber wir wurden gut damit fertig. In meiner ersten Zeit in Barranquilla hatte ich nach ihr gefahndet, bis ich erfuhr, dass sie in Panama lebte, wo ihr Lotse am Kanal arbeitete, aber eher aus Schüchternheit denn aus Stolz erwähnte ich meine Suche nicht.
    Ich glaube, sie hatte gerade mit jemandem zu Mittag gegessen, der den Tisch verlassen hatte, damit sie mich dort allein empfangen konnte. Wir tranken drei tödliche Tassen Kaffee und rauchten gemeinsam ein halbes Päckchen billige Zigaretten, während wir tastend nach einem Weg suchten, ein Gespräch zu führen, ohne etwas zu sagen, bis sie die Frage wagte, ob ich je an sie gedacht hätte. Erst da rückte ich mit der Wahrheit heraus: Ich hätte sie nie vergessen, aber ihr Abschied sei so brutal gewesen, dass er mein ganzes Wesen verändert habe. Sie hatte mehr Erbarmen:
    »Ich vergesse nie, dass du für mich wie ein Sohn bist.«
    Sie hatte meine Zeitungsartikel, meine Erzählungen und meinen einzigen Roman gelesen und sprach mit einem luziden und glühenden Scharfsinn davon, wie ihn allein die Liebe oder der Groll hervorbringt. Ich aber tat nichts anderes, als mit der schäbigen Feigheit, zu der nur wir Männer fähig sind, den Fallen der Nostalgie auszuweichen. Als es mir schließlich gelungen war, die Anspannung zu mildern, wagte ich zu fragen, ob sie das Kind, das sie sich gewünscht hatte, bekommen habe.
    »Ja«, sagte sie freudig, »und jetzt ist er schon bald mit der Grundschule fertig.«
    »Ist er schwarz wie sein Vater?«, fragte ich mit kleinlicher Eifersucht.
    Wie immer verließ sie sich auf ihren gesunden Menschenverstand. »Weiß wie seine Mutter«, sagte sie. »Aber der Papa hat nicht, wie ich befürchtete, das Haus verlassen, sondern wir sind uns nur noch näher gekommen.« Und angesichts meiner sichtbaren Verwirrung bestätigte sie mit einem vernichtenden Lächeln:
    »Keine Sorge: Es ist von ihm. Wie die zwei Töchter, die sich so ähneln, als sei es nur eine.«
    Sie freute sich, gekommen zu sein, unterhielt mich mit ein paar Erinnerungen, die nichts mit mir zu tun hatten, und ich war so eingebildet, dass ich dachte, sie erwarte Intimeres. Aber wie alle Männer irrte auch ich mich im Ort und im Zeitpunkt. Als ich den vierten Kaffee und ein weiteres Päckchen Zigaretten bestellte, stand sie überraschend auf:
    »Gut, mein Junge, ich bin glücklich, dch gesehen zu haben«, sagte sie. Und schloss: »Ich hielt es nicht

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