Leben, um davon zu erzählen
mehr aus, so viel von dir gelesen zu haben, ohne zu wissen, wie du bist.«
»Und wie bin ich?«, wagte ich zu fragen.
»Oh nein!«, lachte sie von ganzem Herzen. »Das wirst du nie erfahren.«
Erst als ich vor der Schreibmaschine wieder zu Atem gekommen war, wurde mir bewusst, wie sehr ich mich immer danach gesehnt hatte, Martina zu sehen, und welch tiefe Furcht mich daran gehindert hatte, für den Rest unseres Lebens bei ihr zu bleiben. Die gleiche trostlose Furcht, die mich seit jenem Tag oft überfiel, wenn das Telefon läutete.
Das neue Jahr 1955 begann für die Journalisten am 28. Februar mit der Nachricht, dass acht Matrosen des Zerstörers Caldas knapp zwei Stunden vor der Ankunft in Cartagena bei einem Unwetter von Bord gespült worden und verschwunden waren. Vier Tage zuvor hatte das Schiff der Kriegsmarine in Mobile, Alabama, wo es mehrere Monate für eine vorschriftsmäßige Reparatur gelegen hatte, die Anker gelichtet.
Während die gesamte Redaktion angespannt die ersten Rundfunknachrichten über das Unglück verfolgte, hatte sich Guillermo Cano auf seinem Drehstuhl zu mir umgewandt und behielt mich im Visier, einen fertigen Befehl auf der Zunge. Auch José Salgar, der auf dem Weg zur Druckerei war, blieb mit von der Nachricht gestählten Nerven vor mir stehen. Ich war vor einer Stunde aus Barranquilla zurückgekehrt, wo ich einen Beitrag über das ewige Drama der Bocas de Ceniza vorbereitet hatte, und musste mich nun schon wieder fragen, wann das nächste Flugzeug an die Küste startete, um dort einen hochaktuellen Bericht über die acht Schiffbrüchigen schreiben zu können. Aus den Radiobulletins wurde jedoch bald klar, dass der Zerstörer gegen drei Uhr nachmittags ohne weitere Neuigkeiten in Cartagena anlegen würde, da die Leichen der acht ertrunkenen Seeleute nicht hatten geborgen werden können. Guillermo Cano sackte in sich zusammen.
»So ein Mist, Gabo«, sagte er. »Der Knüller ist uns abgesoffen.«
Das Unglück reduzierte sich auf eine Reihe von offiziellen Bulletins, wobei die Information mit den üblichen Ehrungen für die im Dienst Gefallenen verbunden wurde, aber das war alles. Gegen Ende der Woche gab die Marine jedoch bekannt, dass einer der Matrosen, Luis Alejandro Velasco, völlig erschöpft und mit einem Sonnenstich, aber außer Lebensgefahr, an einem Strand von Urabá auf einem Floß angeschwemmt worden sei, auf dem er zehn Tage lang ohne Ruder getrieben habe. Wir waren uns alle einig, dass dies die Reportage des Jahres werden könnte, wenn es uns gelänge, allein mit ihm zu sprechen, und sei es auch nur eine halbe Stunde lang.
Es gelang uns nicht. Die Marine verordnete eine Kontaktsperre, solange der Matrose sich im Marinehospital von Cartagena erholte. Antonio Montana, ein listiger Redakteur von El Tiempo, der sich als Arzt verkleidet eingeschlichen hatte, sah ihn dort ein paar flüchtige Minuten. Den Ergebnissen nach zu urteilen, hatte er von dem Schiffbrüchigen jedoch nur eine Bleistiftskizze bekommen, auf der aufgezeichnet war, wo der Mann sich auf dem Schiff befunden hatte, als er von dem Sturm heruntergefegt worden war, sowie ein paar unzusammenhängende Erklärungen, aus denen klar hervorging, dass er den Befehl hatte, die Geschichte nicht zu erzählen. »Hätte ich gewusst, dass er Journalist war, hätte ich ihm geholfen«, erklärte Velasco Tage später. Als er sich erholt hatte, gab er, immer noch unter Kuratel der Marine, dem Korrespondenten von El Espectador in Cartagena, Lácides Orozco, ein Interview, doch dieser kam nicht so weit, wie wir wollten, und brachte nicht in Erfahrung, wie eine Windböe eine Katastrophe mit sieben Toten hatte auslösen können.
Luis Alejandro Velasco war in der Tat an eiserne Auflagen gebunden, die ihn daran hinderten, sich frei zu bewegen oder frei zu sprechen, auch dann noch, als man ihn in das Haus seiner Eltern in Bogotá gebracht hatte. Jede technische oder politische Frage beantwortete uns der Fregattenleutnant Guil-lermo Fonseca mit freundlicher Bravour, mit entsprechender Eleganz verwehrte er uns jedoch wesentliche Informationen über das, was uns allein interessierte: die Tatsachen hinter diesem Abenteuer. Nur um Zeit zu gewinnen, schrieb ich ein paar kurze Stimmungsberichte über die Rückkehr des Schiffbrüchigen in sein Elternhaus, doch dann hinderten mich seine uniformierten Begleiter erneut daran, mit ihm zu sprechen, während sie einem lokalen Rundfunksender ein ödes Interview gestatteten. Damit war klar: Meister
Weitere Kostenlose Bücher