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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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der offiziösen Kunst, eine Nachricht herunterzuspielen, hatten uns in der Hand. Zum ersten Mal durchfuhr mich der Gedanke, dass der Öffentlichkeit etwas Wichtiges über die Katastrophe verheimlicht wurde. Wenn ich mich heute daran erinnere, dann war das weniger ein Verdacht als eine Vorahnung.
    Es war ein März eisiger Winde, und der stäubende Nieselregen verstärkte den Druck meines schlechten Gewissens. Bevor ich von der Niederlage gebeugt im Redaktionssaal antrat, flüchtete ich mich in das nahe Hotel Continental und bestellte mir einen doppelten Schnaps am Tresen der leeren Bar. Ich trank ihn in langsamen Schlucken, hatte mir nicht einmal meinen dicken Ministermantel ausgezogen, als ich, fast an meinem Ohr, eine weiche Stimme hörte:
    »Wer allein trinkt, stirbt allein.«
    »Dein Wort in Gottes Ohr, du Schöne«, antwortete ich, das Herz auf der Zunge und überzeugt, dass es Martina Fonseca war.
    Die Stimme hinterließ eine Spur lauer Gardenien in der Luft, doch es war nicht Martina. Ich sah die Frau durch die Drehtür hinausgehen und mit ihrem unvergesslichen gelben Regenschirm auf der vom Regen verschlammten Avenida verschwinden. Nach einem weiteren Schnaps überquerte auch ich die Avenida und kam, von den beiden Schnäpsen gestützt, in den Redaktionssaal. Guillermo Cano sah mich eintreten und stieß für alle einen freudigen Schrei aus:
    »Mal sehen, was für einen dicken Fisch der große Gabo an Land gezogen hat!«
    Ich kam mit der Wahrheit heraus:
    »Nur einen toten Fisch.«
    Da merkte ich, dass die unbarmherzigen Spötter der Redaktion mich lieb gewonnen hatten, denn sie sahen mich vorübergehen, den nassen Mantel hinter mir her schleifend, und schwiegen. Keiner hatte das Herz, mich nach dem üblichen Ritual auszupfeifen.
    Luis Alejandro Velasco genoss weiter seinen eingeschränkten Ruhm. Seine Aufpasser erlaubten ihm nicht nur allerlei perverse Werbeaktionen, sondern förderten diese sogar. Er erhielt fünfhundert Dollar und eine neue Uhr dafür, dass er im Radio wahrheitsgemäß erzählte, seine Uhr habe Wind und Wetter überstanden. Der Hersteller seiner Turnschuhe zahlte ihm tausend Dollar dafür, dass er erzählte, seine Schuhe seien derart widerstandsfähig gewesen, dass er sie nicht habe zerreißen können, um etwas zum Kauen zu haben. An ein und demselben Tag hielt er eine patriotische Rede, ließ sich von einer Schönheitskönigin küssen und zeigte sich den Waisenkindern als Vorbild vaterländischen Durchhaltevermögens. An dem denkwürdigen Tag, als Guillermo Cano mir ankündigte, Velasco sitze in seinem Büro und sei bereit, einen Vertrag darüber zu unterschreiben, dass er sein Abenteuer vollständig erzählen werde, hatte ich ihn schon beinahe vergessen. Ich fühlte mich gedemütigt.
    »Dieser Fisch ist nicht nur tot, er stinkt schon«, sagte ich bockig.
    Zum ersten und einzigen Mal weigerte ich mich, etwas für die Zeitung zu tun, was eigentlich meine Pflicht gewesen wäre. Guillermo Cano gab sich geschlagen und fertigte den Schiffbrüchigen ohne weitere Erklärungen ab. Später erzählte er mir, dass er, nachdem er den Mann in seinem Büro verabschiedet hatte, plötzlich noch einmal nachgedacht habe und sich selbst nicht habe erklären können, was er da gerade getan hatte. Woraufhin er den Portier beauftragte, ihm den Schiffbrüchigen wieder heraufzuschicken, und dann mich anrief, um mir entschieden mitzuteilen, dass er die Exklusivrechte für die ganze Geschichte gekauft habe.
    Es war nicht das erste Mal und sollte auch nicht das letzte Mal sein, dass Guillermo sich auf einen hoffnungslosen Fall kaprizierte und ihm am Ende der Erfolg Recht gab. Ich wies ihn niedergeschlagen, aber so höflich wie möglich darauf hin, dass ich die Reportage nur aus arbeitsrechtlichem Gehorsam schreiben würde, jedoch nicht unter meinem Namen. Diese zufällige Entscheidung, über die ich nicht groß nachgedacht hatte, erwies sich aber als richtig, zwang sie mich doch, die Reportage in der ersten Person zu erzählen, im persönlichen Stil des Protagonisten, mit seinen eigenen Gedanken und unter seinem Namen. Die Entscheidung bewahrte mich damit vor jedwedem anderen Schiffbruch an Land. Das heißt, es würde der innere Monolog eines einsamen Abenteuers werden, wortwörtlich, so wie das Leben ihn geschrieben hatte. Die Entscheidung war auch deshalb wunderbar, weil Velasco sich als intelligenter Mensch erwies, dessen Sensibilität und gute Erziehung ich ebenso wenig vergessen werde wie seinen Sinn für

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