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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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entscheidende Flächen auf Deck beanspruchte. Vielleicht hatte man gedacht, dass bei einer Fahrt, die keinen offiziellen Charakter hatte und nur vier Tage bei bester Wetterprognose dauern würde, übertriebene Strenge nicht nötig war. Wie oft waren ähnliche Fahrten unternommen worden, ohne dass irgendetwas passiert war? Ihrer aller Unglück war, dass die Winde, die nur geringfügig stärker waren als angekündigt, das Meer bei strahlender Sonne aufwühlten und das Schiff stärker als erwartet in Schräglage brachten, so dass die Taue um die schlecht gestaute Fracht rissen. Nur weil die Caldas ein so seetüchtiges Schiff war, ging sie nicht erbarmungslos unter, doch acht von den Matrosen, die an Deck Wache hatten, wurden über Bord gerissen. Der Hauptgrund für den Unfall war also nicht ein Sturm, wie die offiziellen Verlautbarungen immer wieder betont hatten, sondern, wie Velasco in der Reportage erklärte, eine übermäßige Ladung schlecht gestauter Haushaltsgeräte auf dem Deck eines Kriegschiffes.
    Ein anderer Aspekt des Unglücks, über den man sich in Stillschweigen hüllte, betraf die Rettungsboote, die den ins Meer gestürzten Matrosen, von denen nur Velasco mit dem Leben davongekommen war, zur Verfügung gestanden hatten. Vermutlich gab es an Bord zwei Sorten von Flößen, die ebenso wie die Männer ins Meer gerissen wurden. Die einen waren aus Kork und Segeltuch, drei Meter lang und eineinhalb Meter breit, mit einer Sicherheitsplattform in der Mitte und mit Proviant, Trinkwasser, Rudern, einem Erste-Hilfe-Kästchen, Gerät zum Fischen und zur Navigation sowie einer Bibel ausgestattet. Auch ohne das Angelgerät konnten zehn Personen acht Tage lang darauf überleben. Außerdem hatte die Caldas auch kleinere Flöße mit keinerlei Ausrüstung an Bord. Nach Velascos Erzählungen musste sein Floß dazugehört haben. Auf ewig offen bleibt die Frage, ob und wie vielen anderen Opfern es gelungen war, sich auf weitere Flöße zu retten, die sie irgendwohin brachten.
    Zweifellos waren dies die wichtigsten Gründe dafür, dass die offiziellen Erklärungen zu dem Unglück nur schleppend erfolgten. Bis man dann bemerkte, dass sich diese Taktik nicht durchhalten ließ, weil inzwischen der Rest der Mannschaft auf Heimurlaub war und die vollständige Geschichte überall im Land erzählte. Die Regierung beharrte bis zum Schluss auf der Sturm-Version und gab ein endgültiges offizielles Kommunique dazu heraus. Die Zensur ging nicht so weit, die Veröffentlichung der restlichen Folgen der Reportage zu verbieten. Velasco seinerseits bewahrte, so weit er konnte, eine loyale Unbestimmtheit, und man erfuhr nie, ob er unter Druck gesetzt worden war, damit er Tatsachen verschwieg, und bei uns hat er sich weder die Enthüllung verbeten noch darum gebeten.
    Nach der fünften Folge war daran gedacht worden, eine Sonderausgabe von den ersten vier zu drucken, um jenen Lesern entgegenzukommen, die den ganzen Bericht sammeln wollten. Don Gabriel Cano, den wir in diesen hektischen Tagen nicht in der Redaktion gesehen hatten, stieg von seinem Taubenhaus herab, kam direkt zu meinem Schreibtisch und fragte:
    »Sagen Sie mal, Namensvetterchen, wie viele Folgen soll eigentlich der Schiffbrüchige haben?«
    Wir waren mit dem Bericht gerade beim siebten Tag, nachdem Velasco eine Visitenkarte, den einzigen Leckerbissen weit und breit, verspeist hatte und nun vergeblich versuchte, seine Turnschuhe mit den Zähnen zu zerreißen, um etwas zum Kauen zu haben. Also fehlten uns noch sieben Folgen. Don Gabriel war empört.
    »Nein, Namensvetterchen, so geht das nicht«, sagte er erregt. »Es müssen mindestens fünfzig Folgen werden.«
    Ich nannte ihm meine Gründe, die seinen basierten jedoch darauf, dass sich der Verkauf fast schon verdoppelt hatte. Nach seinen Berechnungen war es möglich, eine bei der kolumbianischen Presse noch nie da gewesene Auflagenhöhe zu erreichen. Es wurde eine Redaktionssitzung einberufen, bei der ökonomische, technische und journalistische Erwägungen angestellt wurden und man sich auf die vernünftige Obergrenze von zwanzig Folgen einigte. Das heißt: sechs mehr als vorgesehen.
    Obwohl unter den abgedruckten Kapiteln nicht mein Name stand, hatte sich die Arbeitsmethode herumgesprochen, und an einem Abend, an dem ich meinen Pflichten als Filmkritiker nachging, kam es in der Eingangshalle des Kinos zu einer lebhaften Diskussion über den Bericht des Schiffbrüchigen. Die meisten der Anwesenden waren Bekannte, mit denen ich

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