Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
Vom Netzwerk:
bis zu diesem lärmenden Besuch, bei dem jeder von ihnen seine besondere Wesensart offenbarte. Sie waren ernsthaft und arbeitsam, häuslich, Männer des Friedens, die jedoch nichts dabei fanden, im Schwindel des Feierns den Kopf zu verlieren. Sie zerschlugen Geschirr, zausten die Rosenbüsche bei der Verfolgung eines Jungstiers, dem sie ans Fell wollten, erschossen die Hühner für den Eintopfund ließen ein mit Talg beschmiertes Schwein los, das die Stickerinnen auf der Veranda überrannte, doch niemand beklagte diese Zwischenfälle, denn ein Wirbelwind des Glücks begleitete die Männer.
    Esteban Carrillo habe ich noch oft gesehen. Er war der Zwillingsbruder von Tante Elvira und ein geschickter Handwerker, der mit einer Werkzeugkiste reiste, um sich in den Häusern, wo er zu Gast war, durch Reparaturen gefällig zu erweisen. Mit seinem Sinn für Humor und seinem guten Gedächtnis half er mir, zahlreiche Lücken zu füllen, die unabänderlich in der Geschichte der Familie zu klaffen schienen. Als Jugendlicher habe ich auch meinen Onkel Nicolás Gómez häufiger besucht. Er war ein blondes Mannsbild mit roten Sommersprossen und hielt den ordentlichen Beruf eines Krämers in der ehemaligen Strafkolonie von Fundacíon stets hoch. Beeindruckt von meinem guten Ruf, ein aussichtsloser Fall zu sein, gab er mir zum Abschied immer einen Beutel voll Proviant für die Weiterreise mit. Rafael Arias kam stets nur kurz und in Eile vorbei, er ritt auf einem Maultier in der entsprechenden Kleidung und hatte gerade einmal genug Zeit, einen Kaffee stehend in der Küche zu trinken. Die anderen traf ich im Lande verstreut auf den nostalgischen Reisen, die ich später, als ich meine ersten Romane schrieb, durch Die Provinz machte, und immer habe ich das Aschenkreuz auf der Stirn als unverwechselbares Zeichen der Familienidentität vermisst.
    Jahre nach dem Tod der Großeltern, als das Herrenhaus seinem Schicksal überlassen worden war, kam ich einmal mit dem Nachtzug nach Fundacíon und setzte mich an den einzigen Imbissstand am Bahnhof, der zu dieser Zeit noch geöffnet hatte. Es gab nicht mehr viel Essbares, aber die Inhaberin improvisierte mir zu Ehren ein gutes Gericht. Sie war gesprächig und zuvorkommend, doch hinter diesen harmlosen Tugenden glaubte ich den starken Charakter der Frauen unseres Stammes zu erkennen. Jahre später wurde ich bestätigt: Die hübsche Wirtin war Sara Noriega, eine weitere unbekannte Tante.
    Der ehemalige Sklave Apolinar, klein und stämmig, an den ich mich immer wie an einen Onkel erinnerte, verschwand für Jahre aus dem Haus und erschien eines Abends überraschend wieder. Er trug Trauer, einen Anzug aus schwarzem Tuch und einen riesigen, ebenfalls schwarzen Hut, der bis auf die düsteren Augen heruntergezogen war. Als er durch die Küche ging, sagte er, er sei zur Beerdigung gekommen, doch keiner begriff, was er meinte, bis zum nächsten Tag, als die Nachricht kam, der Großvater sei soeben in Santa Marta gestorben, wohin man ihn eilends heimlich gebracht hatte.
    Der einzige Onkel, der es in der Öffentlichkeit zu einer gewissen Geltung brachte, war der älteste von allen und der einzige Konservative. José Maria Valdeblänquez war während des Kriegs der Tausend Tage Senator gewesen und nahm in dieser Eigenschaft an der Unterzeichnung der Kapitulation der Liberalen auf der nahe gelegenen Finca von Neerlandia teil. Vor ihm, auf der Seite der Besiegten, stand sein Vater.
    Ich glaube den Kern meines Wesens und Denkens den Frauen der Familie und den vielen weiblichen Dienstboten zu verdanken, die meine Kindheit behütet haben. Sie hatten einen starken Charakter und ein sanftes Herz und behandelten mich mit der Natürlichkeit des irdischen Paradieses. Unter den vielen, an die ich mich erinnere, war Lucia die Einzige, die mich mit ihrer naiven Arglist überraschte, als sie mich in die Froschgasse führte und ihren Kittel bis zur Taille hob, um mir ihr kupferfarbenes, wirres Fellchen zu zeigen. Was damals aber meine Aufmerksamkeit tatsächlich erregte, war der ungesunde Pinta-Flecken, der sich wie eine Weltkarte aus violetten Dünen und gelben Ozeanen über ihrem Bauch ausbreitete. Die anderen Frauen wirkten dagegen wie Erzengel der Reinheit: Sie zogen sich vor mir um, badeten mich, während sie selbst badeten, setzten mich auf meinen Nachttopf und setzten sich auf den ihren, breiteten vor mir ihre Geheimnisse aus, ihren Kummer, ihren Groll, als verstünde ich das alles nicht, und merkten dabei nicht, dass

Weitere Kostenlose Bücher