Leben, um davon zu erzählen
ich alles begriff, weil ich die Enden verknüpfte, die sie für mich lose gelassen hatten.
Chon gehörte zu den Dienstboten und zur Straße. Sie war als Kind mit den Großeltern aus Barrancas gekommen, war in der Küche, also im Schoß der Familie groß geworden und wurde wie eine Tante und Aufpasserin behandelt, seitdem sie mit meiner verliebten Mutter die Pilgerreise in Die Provinz gemacht hatte. In ihren letzten Jahren zog sie, ihrer königlichen Laune gehorchend, in ein eigenes Zimmer im ärmsten Teil des Dorfes und lebte davon, schon frühmorgens Knödel aus gemahlenem Mais für die Frühstücksküchlein zu verkaufen. Ihr Ausruf »Die kalten Plätzchen der alten Chon!« wurde zur vertrauten Unterbrechung in der Stille des Morgengrauens.
Sie hatte die schöne Farbe einer India, war schon immer nur Haut und Knochen, ging barfuß, trug einen weißen Turban und wickelte sich in gestärkte Laken. Sie schritt sehr langsam auf der Mitte der Straße einher, mit einer Eskorte zahmer, ruhiger Hunde, die sie im Laufen umkreisten. Am Ende gehörte Chon zur dörflichen Folklore. Im Karneval erschien einmal jemand, der genau wie sie verkleidet war, in ihren Laken und mit ihrem Ausruf, nur war es ihm nicht gelungen, wie Chon, eine Hundegarde abzurichten. Ihr Ruf mit den kalten Plätzchen wurde so populär, dass die Akkordeonspieler ein Lied darüber machten. An einem bösen Morgen griffen zwei scharfe Hunde die ihren an, woraufhin sich diese so heftig verteidigten, dass Chon dabei stürzte und sich das Rückgrat brach. Sie überlebte es nicht, trotz aller ärztlichen Maßnahmen, für die mein Großvater sorgte.
Eine weitere aufschlussreiche Erinnerung aus jener Zeit war die Entbindung von Matilde Amaranta, einer Wäscherin, die im Haus arbeitete, als ich etwa sechs war. Ich ging versehentlich in ihr Zimmer und sah sie nackt und breitbeinig auf einem Leinenbett, sie brüllte vor Schmerz inmitten einer aufgestörten Horde von Frauen, die nach Gutdünken Matilde Amarantas Körper untereinander aufgeteilt hatten, um der Schreienden beim Gebären zu helfen. Eine wischte ihr mit einem feuchten Handtuch den Schweiß von der Stirn, andere hielten mit Gewalt ihre Arme und Beine fest und massierten ihr den Bauch, um die Geburt voranzutreiben. In all dem Durcheinander murmelte unsere Hebamme Santos Villero unbeirrt mit geschlossenen Augen Gebete für eine glückliche Überfahrt, während sie zwischen den Schenkeln der Gebärenden zu graben schien. Das Zimmer war erfüllt vom Dampf des kochenden Wassers, das in Töpfen aus der Küche gebracht wurde, und die Hitze war unerträglich geworden. Ich blieb in einer Ecke stehen, hin- und hergerissen zwischen Schrecken und Neugier, bis die Hebamme ein rohes Etwas an den Knöcheln herauszog, wie ein frisch geborenes Kalb, dem eine blutige Schnur vom Nabel herabhing. Da entdeckte mich eine der Frauen in meiner Ecke und schleifte mich aus dem Zimmer.
»Du lebst in Todsünde«, sagte sie zu mir und befahl mir mit drohendem Finger: »Denk nie wieder an das, was du gesehen hast.«
Die Frau aber, die mir wirklich die Unschuld raubte, hatte es nicht vor und erfuhr auch nie davon. Sie hieß Trinidad, war die Tochter von jemandem, der im Haus arbeitete, und begann in einem tödlichen Frühling gerade erst zu erblühen. Sie war etwa dreizehn, trug aber noch die Kleider einer Neunjährigen, die so eng anlagen, dass sie nackter als unbekleidet wirkte. Eines Abends, als wir allein im Patio waren, spielte im Nachbarhaus plötzlich eine Kapelle auf, und Trinidad zog mich zum Tanzen in eine so enge Umarmung, dass mir die Luft wegblieb. Ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist, aber noch heute wache ich verstört und aufgewühlt mitten in der Nacht auf und weiß, ich könnte sie auch im Dunkeln an jedem Zoll ihrer Haut und an ihrem animalischen Geruch erkennen. In einem einzigen Moment wurde ich mir meines Körpers mit einer Hellsichtigkeit der Instinkte bewusst, die ich niemals wieder erlebt habe und die ich als einen köstlichen Tod zu erinnern wage. Von nun an wusste ich auf eine konfuse und unwirkliche Weise, es gab da ein unauslotbares Geheimnis, das ich nicht kannte, das mich aber verstörte, als würde ich es kennen. Dagegen haben mir die Frauen der Familie immer den dürren Pfad der Keuschheit gewiesen.
Der Verlust der Unschuld lehrte mich zugleich, dass es nicht das Jesuskind war, das uns zu Weihnachten die Geschenke brachte, aber ich war so vorsichtig, dies nicht zu sagen. Als ich zehn war,
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