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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Pferdehaar, das bis ins hohe Alter dem Ergrauen standhielt, hatte sie sich bis zu den Kniekehlen wachsen lassen. Sie wusch es einmal die Woche mit Duftwasser und setzte sich zum Kämmen vor ihre Schlafzimmertür, eine heilige Zeremonie von mehreren Stunden, während der sie ruhelos Stummel aus rohem Tabak paffte, die sie verkehrt herum, mit der Glut im Mund, rauchte, wie es die liberalen Truppen im Krieg der Tausend Tage getan hatten, um in der Dunkelheit der Nacht nicht vom Feind entdeckt zu werden. Sie kleidete sich auch anders, trug Unterröcke und Mieder aus makellosem Leinen, dazu Pantöffelchen aus Plüsch.
    Im Gegensatz zum spanischen Purismus der Großmutter pflegte Tante Mama die lockerste volkstümliche Sprache. Das verbarg sie vor keinem und unter keinen Umständen und sagte jedem ungeschminkte Wahrheiten ins Gesicht. Sogar eine Nonne, die meine Mutter unterrichtete, wurde von der Tante wegen einer harmlosen Impertinenz in die Schranken verwiesen: »Sie sind eine von denen, die den Arsch mit den Schläfen verwechseln.« Irgendwie bekam sie es aber stets so hin, weder unflätig noch beleidigend zu wirken.
    Ein halbes Leben lang war sie Verwahrerin der Friedhofsschlüssel, stellte die Totenscheine aus und buk zu Hause die Hostien für die Messe. Sie war die einzige Person in der Familie, ob es sich nun um Frauen oder Männer handelte, in deren Herz nicht der Kummer über eine verbotene Liebe bohrte. Das wurde uns eines Abends bewusst, als der Arzt ihr einen Katheter legen wollte und sie ihn mit einem Hinweis daran hinderte, den ich damals nicht begriff: »Ich möchte klarstellen, Doktor, dass ich nie einen Mann gekannt habe.«
    Ich hörte diesen Satz noch öfter von ihr, aber er wirkte auf mich weder triumphal noch reumütig, sondern war Ausdruck einer vollendeten Tatsache, die keinerlei Spuren in ihrem Leben hinterlassen hatte. Dafür war sie eine ausgefuchste Ehestifterin, die unter dem Zwiespalt gelitten haben muss, meine Eltern zu unterstützen und sich gleichzeitig Mina gegenüber loyal zu verhalten.
    Ich habe den Eindruck, dass sie sich besser mit den Kindern als mit den Erwachsenen verstand. Sie kümmerte sich um Sara Emilia, bis diese allein in das Zimmer mit den Calleja-Märchenheften zog. Anschließend übernahm sie dann Margot und mich, wenngleich sich die Großmutter weiterhin um meine Körperpflege kümmerte und der Großvater um meine Entwicklung zum Mann.
    Die seltsamste Erinnerung aus jener Zeit ist die an Tante Petra, die ältere Schwester des Großvaters, die von Riohacha zu uns zog, als sie blind wurde. Sie wohnte in dem Zimmer neben dem Büro, der späteren Goldschmiedewerkstatt, und entwickelte eine geradezu magische Geschicklichkeit, sich ohne Stock oder irgendwelche Hilfe in der Finsternis zu bewegen. Ich erinnere mich an sie, als sei es gestern gewesen: Langsam, aber ohne Zögern geht sie wie jemand, der mit zwei Augen sehen kann, und lässt sich dabei nur von ihrer Nase leiten. Ihr Zimmer erkannte sie am Geruch der Salzsäure in der angrenzenden Schmiede, die Veranda am Jasminduft, das Schlafzimmer der Großeltern am Geruch nach Methylalkohol, mit dem sich beide vor dem Schlafengehen abrieben, das Zimmer von Tante Mama am Ölgeruch der Heiligenlämpchen, und am Ende des Gangs erwarteten sie dann die leckeren Küchengerüche. T ante Petra war schlank und leichtfüßig, hatte eine Haut wie welke Lilien, eine leuchtende Mähne perlmuttfarbenen Haars, das sie offen bis zur Taille trug und selbst pflegte. Das jungmädchenhafte Leuchten ihrer grünen, durchsichtigen Pupillen änderte sich je nach Stimmung. Es handelte sich aber allenfalls um gelegentliche Ausflüge, da sie den ganzen Tag in ihrem Zimmer zu verbringen pflegte, bei halb offener Tür und fast immer allein. Manchmal sang sie sich leise etwas vor, und dann konnte man ihre Stimme mit der von Mina verwechseln, doch waren die Lieder anders und viel trauriger. Irgendjemand sagte, es handle sich um Romanzen aus Riohacha, aber erst als Erwachsener kam ich dahinter, dass sie die Lieder beim Singen selbst erfand. Zwei oder dreimal konnte ich der Verlockung nicht widerstehen, heimlich in ihr Zimmer zu gehen, fand sie dort aber nicht. Später einmal, in den Ferien der Oberschule, erzählte ich meiner Mutter von diesen Erinnerungen, woraufhin sie mich eilig davon überzeugte, dass ich mich irrte. Sie hatte völlig Recht, und das konnte ich überprüfen, ohne die Asche eines Zweifels: Tante Petra war gestorben, als ich gerade zwei Jahre

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