Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
Vom Netzwerk:
offenbarte mein Vater es mir wie ein Geheimnis unter Erwachsenen, weil er davon ausging, dass ich es schon wusste, und nahm mich in die weihnachtlichen Geschäfte mit, um die Geschenke für meine Brüder auszusuchen. Ähnliches war mir mit dem Geheimnis der Geburt widerfahren, schon bevor ich die Entbindung von Matilde Amaranta erlebte: Ich verschluckte mein Lachen, wenn ich hörte, der Klapperstorch bringe die Kinder aus Paris, aber ich muss gestehen, dass ich weder damals noch heute Geburt mit Sexualität habe in Verbindung bringen können. Wie auch immer, ich denke, dass meine Vertrautheit mit dem Gesinde der Ursprung des heimlichen Drahts sein könnte, den ich zu Frauen zu haben glaube, weshalb ich mich auch mein Leben lang unter ihnen wohler und sicherer gefühlt habe als unter Männern. Von daher kommt möglicherweise auch meine Überzeugung, dass die Frauen die Welt erhalten, während wir Männer sie mit unserer historischen Brutalität in Unordnung bringen.
    Ohne es zu wissen, hatte Sara Emilia Márquez etwas mit meinem Schicksal zu tun. Von jung an von Verehrern verfolgt, die sie nicht einmal eines Blickes würdigte, entschied sie sich für den Ersten, der ihr gefiel, und zwar für immer. Der Erwählte hatte etwas mit meinem Vater gemeinsam, er war ein Fremdling, war von wer weiß wo und wie gekommen, sichtlich ohne Mittel, wirkte aber viel versprechend. Er hieß José del Carmen Uribe Vergel, unterschrieb aber manchmal nur mit J. del C. Es verging einige Zeit, ohne dass man wusste, wer er wirklich war und woher er kam, bis man es durch die Reden erfuhr, die er im Auftrag für Würdenträger schrieb, und durch Liebesgedichte, die er in seiner eigenen Kulturzeitschrift veröffentlichte, deren Erscheinungsfolge von Gottes Willen abhing. Seitdem er im Haus aufgetaucht war, bewunderte ich ihn sehr wegen seines Ruhms als Schriftsteller. Er war der erste, den ich in meinem Leben kennen lernte, und unverzüglich wollte ich so sein wie er und war nicht zufrieden, bis Francisca Simodosea, Tante Mama, lernte, mich ebenso zu frisieren.
    Ich war der Erste der Familie, der von seiner heimlichen Liebe erfuhr, und zwar eines Abends, als er in das Haus gegenüber kam, wo ich mit meinen Freunden spielte. Er rief mich beiseite, war sichtlich angespannt und übergab mir einen Brief an Sara Emilia. Ich wusste, dass sie an der Tür saß und eine Freundin zu Besuch hatte. Ich ging über die Straße, versteckte mich hinter einem der Mandelbäume und warf den Brief mit einer solchen Treffsicherheit, dass er ihr in den Schoß fiel. Erschreckt hob sie die Hände, der Schrei blieb ihr jedoch in der Kehle stecken, als sie die Schrift auf dem Umschlag erkannte. Von da an waren Sara Emilia und J. del C. meine Freunde.
    Elvira Carrillo, die Zwillingsschwester von Onkel Esteban, wrang mit zwei Händen das Zuckerrohr und presste mit der Kraft einer Mühle den Saft heraus. Sie war bekannter für ihre brutale Offenheit als für die Zärtlichkeit, mit der sie die Kinder unterhalten konnte, vor allem meinen ein Jahr jüngeren Bruder Luis Enrique, dessen Komplizin und Herrscherin sie zugleich war und der sie für immer auf den unergründbaren Namen Tante Pa taufte. Unlösbare Probleme waren ihre Spezialität. Sie und Esteban kamen als Erste in das Haus in Cataca, während er jedoch seinen Weg mit allerlei erfolgreichen Betätigungen und Geschäften machte, blieb sie in der Familie die unentbehrliche Tante, ohne je zu merken, dass sie das war. Sie verschwand, wenn sie nicht benötigt wurde, tauchte auf, wenn man sie brauchte, aber wie und woher sie dann kam, wusste keiner. In ihren schlechten Augenblicken führte sie, während sie mit den Töpfen hantierte, Selbstgespräche und offenbarte laut, wo sich verlorene Gegenstände befanden. Nachdem sie die älteren Familienmitglieder begraben hatte, blieb sie, indes das Unkraut nach und nach den Raum eroberte und die Tiere durch die Schlafzimmer irrten, im Haus wohnen, gestört von einem mitternächtlichen Husten, das wie von jenseits des Grabes aus dem Nachbarzimmer schallte.
    Francisca Simodosea - Tante Mama -, die Generalin der Sippe, starb jungfräulich im Alter von neunundsiebzig Jahren und war anders als alle anderen, da ihre Gewohnheiten und ihre Sprache nicht aus Der Provinz stammten, sondern aus dem feudalen Paradies der Savannen von Bolivar, wohin ihr Vater, José Maria Mejia Vidal, in jungen Jahren mit seiner Goldschmiedekunst von Riohacha aus emigriert war. Ihre Mähne aus tiefschwarzem

Weitere Kostenlose Bücher